Die Verzweiflung der Menschen ist gross

  04.01.2022 Frick

Ein Hilfseinsatz voller bleibender Eindrücke

Rolf Schmid aus Frick ist über die Weihnachtstage mit drei anderen Aargauern nach Bosnien gefahren. Dort haben sie unter anderem Menschen auf der Flucht mit dringend benötigten Hilfsgütern unterstützt.

Susanne Hörth

Im Gespräch mit der NFZ erzählt Rolf Schmid von den vielen Eindrücken, welcher der Hilfseinsatz «Weihnachten auf der Balkanroute» und die Begegnungen mit den Menschen bei ihm hinterlassen haben. Zu der Art der verteilten Hilfsgüter hält er fest: «Wir haben vorwiegend Nahrungsmittel, Kleider, Schuhe und Schlafsäcke besorgt und verteilt. Für den bevorstehenden Jahreswechsel und das Weihnachtsfest, welches in weiten Teilen des Balkans erst im Januar gefeiert wird, haben wir für Kinder ein traditionelles Paket mit Süssigkeiten und kleinen Spielsachen besorgt.» Er führt weiter an, dass zwei Partner-Projekte aktuell dabei seien, ihre Hilfe vor Ort zu institutionalisieren und kleine Anlaufstellen einzurichten. Das Team aus der Schweiz hat ihnen bei der Beschaffung von Infrastruktur und Material geholfen.

Auf ein besonderes Erlebnis angesprochen, geht Schmid zuerst auf die gehäuften Berichte in der Vergangenheit ein, wonach die kroatische Polizei unter Gewaltanwendung Menschen daran hinderte, in der EU einen Asylantrag zu stellen. «Damit werden gleich mehrere Menschenrechte verletzt. Eine Zeit lang schien es, dass die journalistische Aufarbeitung der systematischen Vorgehensweise der kroatischen Behörden zu einer Abschwächung dieser Vorkommnisse geführt hat», sagt Schmid, um gleich anzufügen: «Als wir jedoch eine Gruppe von Menschen besuchten, die in einer Squad leben, sich also ausserhalb von Lagern aufhalten, kamen wir mit Leuten in Kontakt, die gerade von Kroatien w ieder zurückgeschafft worden waren. Besonders perfid ist dabei die Tatsache, dass ihnen das wenige Geld, das Handy und sogar die Schuhe abgenommen werden.» Auf den Anhöhen liegt Schnee, die Temperaturen bewegen sich um den Gefrierpunkt. «In diesem Moment steht man der schieren Ratlosigkeit und Verzweiflung der Menschen gegenüber und weiss sich nicht recht, zu helfen. Wir setzten uns dann ins klimatisierte Auto und brauchten erst einmal einen Moment, um diese surrealen Gegensätze zu begreifen.»


«Die Perspektive fehlt»

Ein Fricker war bei der Hilfsaktion «Weihnachten auf der Balkanroute» dabei

Am 23., beziehungsweise 24. Dezember sind vier Aargauer mit zwei Autos zu einer rund 14-stündigen Reise aufgebrochen. Ihr Ziel: Bosnien. Ihr Auftrag: Den notleitenden Menschen mit dringend benötigten Gütern zu helfen. Rolf Schmid aus Frick ist einer der vier Männer. Im Gespräch mit der NFZ berichtet er über die Reise.

Susanne Hörth

NFZ: Herr Schmid, was waren Ihre ersten Eindrücke nach der Ankunft in Bosnien?
Rolf Schmid:
Der erste Eindruck war relativ ruhig und wenig hektisch. Eine für uns neue Situation, denn in der Vergangenheit waren die Gemüter oft sehr angeheizt und es gab Baustellen an allen Ecken und Enden. Generell gibt es zurzeit nicht übermässig viele Menschen in der Grenzregion. Zirka 2000, davon zwischen 500 und 1000 im Freien. Aufgrund der Witterungsverhältnisse sind aktuell weniger Menschen unterwegs. Diejenigen, die von der Polizei aufgegriffen werden, werden meistens in Lagern rund um Sarajevo untergebracht. Dort gibt es wesentlich mehr Menschen.

Wie ist das Leben in diesen Lagern?
Obschon es mit dem Lager Lipa, rund 20 Kilometer ausserhalb der Stadt Bihac einigermassen neue und gute Strukturen gibt, gibt es keine Perspektive für die Menschen. Früher war es so, dass denjenigen Menschen, die sich am längsten in Lagern auf hielten, jeweils ein Grenzübertritt und somit der Antrag auf Asyl eingeräumt wurde. Aktuell besteht diese Möglichkeit nicht mehr und die Menschen stranden buchstäblich im bosnischen Hinterland. Im Lager wirkt es aktuell ruhig und organisiert, was wohl daran liegt, dass die Kapazität nicht voll ausgeschöpft ist. Wenn die Temperaturen steigen und der Frühling naht, wird sich dies schlagartig ändern. Erst dann erfolgt die Probe aufs Exempel und es wird sich zeigen, ob die Organisation den Ansturm standhält.

Was gab es für Euch alles zu tun?
Eine ständige Baustelle ist die Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern wie Nahrung, sauberem Wasser und Hygieneartikeln. Ebenso ist der Bedarf an guten Schuhen, Schlafsäcken und Rucksäcken hoch. Die Beschaffung solcher Güter ist fast im Tagesrhythmus notwendig.

Wir haben vorwiegend Nahrungsmittel, Kleider, Schuhe und Schlafsäcke besorgt und verteilt. Für den bevorstehenden Jahreswechsel und das Weihnachtsfest, welches in weiten Teilen des Balkans erst im Januar gefeiert wird, haben wir für Kinder ein traditionelles Paket mit Süssigkeiten und kleinen Spielsachen besorgt.

Wie haben die Leute auf Euch reagiert?
Die Menschen sind enorm dankbar, doch fällt auch immer wieder auf, dass manche Menschen eine verständliche Scham davor haben die Hilfe anzunehmen. Viele von ihnen waren vor ihrer Flucht nicht auf solche Unterstützung angewiesen. Vor allem Väter haben bislang ihre Familien selbst ernähren können. Dieser Frust, nicht über unsere Hilfen, sondern über die Abhängigkeit ist verständlich.

Besonders vielen Menschen in den ländlichen Gebieten von Bosnien-Herzegowina geht es ebenfalls sehr schlecht und die Versorgung mit gesunden Lebensmitteln und Kleidern/Schuhen ist mangelhaft. Manche kommen mit nur gerade 100 oder 200 Franken Rente aus. Jenen Bedürftigen haben wir ebenfalls geholfen. Gemeinsam mit dem Roten Kreuz in Bihac und einer Partisanen-Vereinigung in Mostar haben wir Lebensmittelpakete verteilt und dabei den Bedarf an neuen Kleidern oder Schuhen evaluiert. Durch dieses Engagement gewinnt unsere Arbeit an Vertrauen. Die Verteilaktionen waren sehr eindrücklich. Nach rund 25 Jahren seit dem Ende des Krieges ist die Situation immer noch prekär. Die politischen Spannungen halten an und die wirtschaftliche Situation ist schwierig.

Mit welchen Gefühlen kehrt man nach einer solchen Reise zurück?
Bei diesem Mal mit gemischten Gefühlen. Einerseits scheint der Druck von ausländischen Organisationen auf den bosnischen Staat und die EU endlich etwas zu bewirken. Die Lage wirkt aktuell relativ entspannt und die Organisation der Abläufe stabil. Das grosse Leid der Menschen scheint für den Moment etwas gelindert.

Aber…
… Es bleibt jedoch auch der Eindruck, dass dieses fragile Kartenhaus beim nächsten Anstieg ziemlich schnell wieder ins Schwanken gerät. Über allem steht darum auch die Erkenntnis, dass es weiterhin keine Perspektiven gibt. Nicht für die Menschen, die aktuell in Bosnien verharren, nicht für die Menschen, die anderswo unterwegs sind. Um diese Fragen müssen wir uns endlich kümmern. Die Probleme, die wir vor Ort antreffen sind zwar immer grundlegend, aber in ihrem Ursprung doch sehr komplex. Wenn wir also vor Ort notwendige Hilfe leisten, bedarf es immer Demut im Wissen darum, dass man nur wenig an den Umständen verändert. Es aus dieser Erkenntnis aber nicht zu tun, wäre jedoch schlimmer. Es würde nämlich bedeuten, dass man die Menschen alleine lässt und dies wäre letztlich der erste Schritt die Situation mit all ihren herausfordernden Aspekten zu akzeptieren.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote