Mit einem blauen Auge davongekommen

  07.11.2021 Wirtschaft

ERNE-CEO Wolfgang Schwarzenbacher im Interview

Die Digitalisierung im Baugewerbe kommt unterschiedlich schnell voran. Warum das so ist, wie sich die ERNE Gruppe dem hohen Abwerbungsdruck widersetzt und junge Leute zur Mitarbeit motiviert, erklärt CEO Wolfgang Schwarzenbacher im Gespräch mit der NFZ.

Simone Rufli

NFZ: Herr Schwarzenbacher, Sie sind nun seit zwei Jahren CEO der ERNE Gruppe. Was für ein Unternehmen haben Sie angetroffen?
Wolfgang Schwarzenbacher:
Ich habe bisher immer in einem Konzern gearbeitet. Mein Traum war es aber schon immer, in einem Familienbetrieb tätig zu sein. Ich habe eine Firma angetroffen, die wirklich familiengeführt und zugleich familiär ist. Der Patron, die Söhne, alle sind so unkompliziert und bodenständig. Ich erlebe das direkt, ich habe mein Büro hier inmitten der Ernes. Ich habe eine Firma angetroffen, die in Bewegung ist, und zwar im positiven Sinn. Es gibt sehr viele gute Leute. Viele Junge aber auch viele Mitarbeitende mit einem hohen Dienstalter. So etwas habe ich noch nie gesehen. Es gibt Mitarbeiter, die sind dreissig, vierzig Jahre bei uns. Diese Loyalität und Identifikation mit ERNE ist unglaublich. Ich habe vorher in Zürich gearbeitet, dort sind die Leute weit weniger verwurzelt. Aber Laufenburg und ERNE, das gehört einfach zusammen. Mit der Zeit habe ich festgestellt, dass ganze Familien bei ERNE arbeiten; Die Mutter, der Sohn, der Bruder, Nachbarn sowieso (Schwarzenbacher lacht). Beeindruckt hat mich noch etwas anderes: Ich konnte direkt auf den Baustellen, die ich zur Einführung besichtigen konnte, sehen, was für herausfordernde Projekte wir umsetzen. Ich kann zusammenfassend sagen: Meine Erwartungen wurden in allen Bereichen übertroffen.

Wenn Sie einen massgeblichen Unterschied zu anderen Unternehmen nennen müssten, welcher fällt Ihnen spontan ein?
In einem Konzern sind die Eigentümer zum Teil weit weg, die Identifikation der Mitarbeitenden ist oft entsprechend geringer und Entscheide werden teilweise politisch gefällt. Ein weiterer Unterschied betrifft die Geschwindigkeit. Hier laufe ich zur Eigentümer-Familie ins Büro und wir treffen einen Entscheid. Agiles Unternehmertum lebt von Macher-Qualitäten. Ganz anders im Konzern. In einem Konzern brauchen Sie einen Businessplan, einen Antrag und müssen zwei Hierarchien rauf und runter. Schnelles Handeln setzt aber auch voraus, dass Sie Ihre Mitarbeitenden kennen, wissen, was sie können und ihnen vertrauen. Dann können Sie auch mutig sein und Neues probieren. Ein weiterer Unterschied ist die langfristige Orientierung. Wir leben nicht von Quartal zu Quartal wie ein börsenkotierter Konzern.

Welche Ziele wollen Sie mit der ERNE Gruppe erreichen?
Die Gruppenleitung wurde etabliert, um die Nachfolge von der dritten zur vierten Generation zu unterstützen. Wir haben den Auftrag, den Generationenwechsel zu unterstützen, zu begleiten, sicherzustellen und die Firma in die Zukunft zu führen. Die Zukunft hat Herausforderungen, das wissen wir. Aber Herausforderungen sehen wir als Chance. Eine Firma, die sich über 115 Jahre am Markt etabliert hat, tut das, weil sie über eine gute Substanz und über gute Leute verfügt.

Das Fricktal wird als bedeutungsvolle, wachsende Wirtschaftsregion  in der Nordwestschweiz bezeichnet. Nehmen Sie es als solche wahr?
Definitiv. Wir stehen zur Region, sehen das Potential und wachsen auch konstant. Ich selber bin von Zürich nach Frick umgezogen, weil es für mich immer selbstverständlich war, meinen Wohnort nach der Arbeit auszurichten. Für mich ist das auch eine Frage von Glaubwürdigkeit und Nähe. Am Wochenende gehe ich jeweils nach Liechtenstein, wo ich ‘dahoam’ bin, um ein Dialektwort zu gebrauchen.

Haben Sie sich in Frick gut eingelebt?
Sehr. Frick hat alles, was es zum Leben braucht. Ich bin überrascht, wie viele Hanfläden und Coiffeur-Salons es gibt (er schmunzelt). Und ich musste mich daran gewöhnen, auf meinen abendlichen Spaziergängen durchs Dorf gegrüsst zu werden und zurück zu grüssen. Das passiert einem in Zürich nicht.

Zurück zu ERNE. Welchen Stellenwert haben Laufenburg und das Fricktal für ERNE?
Das ist das Herz. Sie können sicher sein, ERNE wird das Herz nie aufgeben. In der Romandie sind wir mit dem Holzbau an einem Standort vertreten und vielleicht gibt es hier oder dort mal eine Filiale. Aber Laufenburg mit Baugeschäft und Werkhof sowie Holding-Standort der ERNE Gruppe, Frick mit Husner, wo wir aufstocken und investieren und Stein mit der Produktion und den Hallen für den Holzbau, das sind klare Bekenntnisse zum Standort.

Wie hat die Corona-Pandemie das Unternehmen getroffen?
Ich jammere nicht. Wir waren für einmal die Branche, die vom Konjunktureinbruch nicht tangiert wurde. Normalerweise trifft es ja immer den Bau. Da wir aber weder im Tessin noch in Genf tätig sind, hatten wir zum Glück keine Baustellenschliessungen. Bei 600 bis 700 Leuten auf den Baustellen wäre es selbst mit Entschädigungen ein Kraftakt geworden. Wir haben natürlich trotzdem Mehrkosten, Ablaufstörungen und Diskussionen mit Kunden, die die Mehrkosten nicht tragen wollen. Wir sehen jedoch in der Baubranche vergleichsweise geringe Auswirkungen in den Zahlen. Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen.

Hat das Thema Gesundheit der Mitarbeiter durch die Pandemie einen anderen Stellenwert erhalten?
Die Sorge um die Gesundheit ist typisch für einen Familienbetrieb und gehört bei ERNE dazu. Durch Corona wurde einzig das Bewusstsein für die eigene Gesundheit wieder geschärft. Wir mussten auch nicht von Null anfangen. Pläne für eine Hotline, Taskforce, Care Teams, das konnten wir alles einfach aus der Schublade nehmen und anpassen. Von den 1100 Mitarbeitenden gab es nur 50 positive Corona-Fälle. Wir haben sehr disziplinierte Leute. Dennoch haben wir als Firma einen Lernprozess durchlaufen. Bisher Selbstverständliches schätzt man heute mehr und einiges, was man bisher für nicht funktionsfähig gehalten hat, hat doch funktioniert.

Was gehört aktuell zu den grössten Herausforderungen?
Die Materialpreise bei Holz und Stahl. Dann die Lieferzeiten. Auf Baumeister-Seite das Preisniveau und sicher auch die Digitalisierung, denn das Baugewerbe ist eine eher traditionelle Branche.

Gehört zu diesen Herausforderungen auch die Rekrutierung von guten Fachkräften?
Ja natürlich. Fachkräfte sind immer ein Thema. Zusätzlich herausfordernd kommt für uns hinzu, dass wir einem hohen Abwerbungsdruck ausgesetzt sind. Es ist bekannt, dass wir gute Mitarbeitende haben, eine gute Lehrlingsausbildung. Wir müssen in die eigene Personalentwicklung investieren, denn wir werden nie genug Leute auf dem Markt finden. Nicht nur bei den Lehrlingen. In der Ausbildung und Betreuung kann man als Firma aber den Unterschied machen. Fitte Leute bleiben länger, auch wenn der Druck auf der Baustelle zunimmt und der Takt schneller wird. Weitere Vorteile gegenüber anderen Firmen sind sicher unsere Betriebskultur und die spannenden Projekte. Leider hat es die Baubranche als Ganzes noch nicht geschafft, die Bedeutung des gelernten Handwerks und die Weiterbildungsmöglichkeiten den Schulen und Eltern genug schmackhaft zu machen. Das versuchen wir beispielsweise mit einer eigenen Berufsmesse.

Wie viele Lehrlinge werden bei der ERNE Gruppe aktuell ausgebildet und finden sich für offene Lehrstellen jeweils genügend junge Leute?
Es sind aktuell um die 60 Lernende. Die Anzahl Lehrlinge ist für uns aber nicht das entscheidende Kriterium. Nicht maximale Anzahl, sondern beste Qualität ist unser Ziel.

Welches Thema spielt die Digitalisierung bei der ERNE Gruppe?
Die Digitalisierung im Holzbau ist weit fortgeschritten. In der Baubranche hält sie nach und nach Einzug. Wir haben bereits ein BIM-Team aufgebaut. BIM steht für Building Information Modeling. Das heisst, dass bei einem Gebäude alle Daten sämtlicher Gewerke in einem System zusammengefasst werden. Die Herausforderung zeigt sich darin, dass BIM die klassische Wertschöpfungskette auflöst. Gewisse Rollen verschieben sich auf der Zeitachse. Die Planung wird nur einmal gemacht, und zwar am Anfang. Heute wird noch auf der Baustelle geändert. Das geht beim BIM nicht mehr. Daraus resultieren weniger Fehler, weniger Korrekturen und es zwingt alle zu effizienterem Bauen, was letztlich das Resultat in der Gesamtqualität positiv beeinflusst. Digitalisierung in der Baubranche ist zudem eine Chance, junge Leute zu gewinnen. Sie müssen nicht mehr in die Industrie gehen, um Digitalisierung zu leben.

Wo sehen Sie Wachstumspotential für das Unternehmen?
Wir haben nicht per se eine Wachstumsstrategie. Wir wollen nicht die Grössten in der Schweiz werden. Wir wollen das perfekte Portfolio für unsere Kunden anbieten, ob es sich um einen Kleinstauftrag oder ein Grossprojekt handelt. Gewissermassen ein Sorglos-Paket, denn als Entwicklungs- und Realisierungspartner wollen wir sehr nahe beim Kunden sein. Ebenfalls ein wichtiger Treiber sind Innovationen genauso wie die Bewirtschaftung von Nischen. Wir werden ebenfalls den Immobilienbereich stärken. Wachstum ist nicht das Ziel, sondern die Konsequenz aus all dem.

Mit Daniel Erne und Christoph Erne ist die nächste Familien-Generation im Verwaltungsrat vertreten. Ist die Nachfolgelösung somit im Unternehmen abgeschlossen?
Faktisch ist sie dann abgeschlossen, wenn Erich Erne den wohlverdienten Ruhestand geniesst. Nein, sie ist noch nicht abgeschlossen. Der Plan der Familie war es, zuerst den Verwaltungsrat zu stärken mit zwei externen Verwaltungsräten und dann eine Gruppenleitung zu etablieren. Damit steht jetzt die Struktur für die Ablösung.
Erich Erne hat sich bereits aus kleinen Gesellschaften zurückgezogen und Daniel und Christoph Erne Platz gemacht. Dieser Prozess geht nun weiter. Die Gruppenleitung kommt mehr in die Verantwortung. Dies in enger Zusammenarbeit mit der Familie beziehungsweise dem Verwaltungsrat.


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