Marion Roloff im Dialog mit über 120 Figuren
25.12.2020 Persönlich, RheinfeldenMarion Roloff aus Rheinfelden ist handwerklich begabt. Sie bastelt jetzt im Advent dreidimensionale Sterne, Transparenzsterne, Fröbel-Sterne. Und bringt ihre Bibellandschaft zum Leben.
Andreas Fischer *
Da sind die zentralen Orte, um die herum sich die biblischen Geschichten ranken, der Herodespalast, der Pilatuspalast, der Tempel. Da ist der Stall mit den Hirtenfeldern, da ist Golgota, und da sind die Gewässer, der See Genezaret, der Jordan, der Nil. Und so weiter. Insgesamt mehr als 120 Figuren tummeln sich in der Landschaft, allesamt sind sie beweglich, die meisten hat Marion Roloff selber gefertigt, aus Sisalschnur mit einem Draht darin, mit Bleifüssen, einem Kopf aus Styropor. Das Abrahamzelt stammt von ihrer Lehrerin, der Baslerin Heidi Nisslé, «sie hat dafür wie von Beduinen gewobene Naturmaterialien verwendet, sie reiste viel und brachte Material mit, damit die Figuren und Gegenstände möglichst authentisch wirken».
Nie mit Kreditkarte
Der Mann von Heidi Nisslé, ein begabter Handwerker, hat die Werkstatt von Josef gestaltet, der Vater einer Freundin den Stall. Man kennt sich, man sei wie eine Familie, erzählt Marion Roloff.
Üblicherweise stellt sie die Bibellandschaft schon im Oktober auf. Dann sieht sie, was fehlt, was defekt ist. Ende Oktober findet dann eine Ausstellung statt von zwei Frauen im Berner Oberland, die dafür eigens ein Schloss mieten. Zunächst dürfe man dort nur schauen, dann erst beginne der Verkauf. «Ich nehme nie eine Kreditkarte mit», sagt Marion Roloff lachend. Die Versuchung, alles zusammenzukaufen, wäre zu gross.
Marion Roloff stammt aus Bonn, ist ausgebildete Grund- und Hauptschullehrerin, in der Schweiz liess sie sich zur Legasthenie-Therapeutin ausbilden. Ein gewiefter katholischer Seelsorger fragte sie an, ob sie als Religionslehrerin einspringen könnte.
Sinnlichkeit
Marion Roloff hätte sich eigentlich schon als Jugendliche für Religion interessiert, doch das war damals ein No-Go. In ihrer Hippieclique war man dem Rotwein mehr zugetan als der Religion. Das sei kein Problem, dass sie keine Ahnung habe, sagte der Seelsorger, auch nicht, dass sie reformiert beziehungsweise lutherisch sei, er spüre einfach ihre Affinität. Und tatsächlich hat Marion Roloff einen spezifischen, sehr sinnlichen Zugang zur Religion. Sie erklärt mir im Gespräch, was ihr das Kreuzzeichen bedeutet: Gott als der Höchste, Christus in unserer Mitte, die Heilige Geistkraft links, ganz fern, und rechts, ganz nah.
Diese Körperlichkeit, Sinnlichkeit hat sie in ihren Religionsunterricht einfliessen lassen, besonders über die Figuren. Am Anfang der Stunde liess sie die Schüler jeweils raten, welche Figur heute in der Mitte steht. Im weiteren Verlauf erzählte sie die entsprechende Geschichte, man spielte sie, malte, bastelte dazu.
Innerer Dialog
Die Figuren in der Bibellandschaft sind in dauernder Bewegung. Es sei, sagt Marion Roloff, «ein dauernder innerer Dialog» mit ihnen, sie erlebt die Geschichten in Bewegung, sie nimmt die Figuren in den Arm, «was man unter Menschen derzeit nicht darf», spürt nach, welche Figur jetzt gerade zu ihr kommen möchte.
Auch die Enkelkinder kennen sich in der Bibellandschaft aus, sie haben ihre je eigenen Favoriten, den einen zieht es zu David und Goliath, die andere zu den Tieren in der Arche Noahs, der Dritte sperrt gleich mal alle Schafe in den Stall, und der Kleinste geht an allen Kamelen, Soldaten und Priestern vorbei direkt auf das Kind in der Krippe zu und gibt ihm einen Kuss. Die Katzen beteiligen sich auch am Krippenspiel, sie legen sich auf den Stall, umfassen mit ihren Pfoten die Kuh, ganz sorgsam, ohne irgendeine Figur umzuwerfen.
«Fass sie an! Spiel mit ihnen!»
Marion Roloff, ganz Religionslehrerin, fragt mich, ob ich wisse, wer der Typ mit der Augenbinde sei. Und wer jenes Trio, einer mit Stab, einer mit zwei Tontafeln, eine mit einer Trommel. Und wer der arme Kerl, der Schweine hütet. «Noch drei musst du erraten, den da mit den roten Haaren und seinen Zwillingsbruder, der gerade eine Linsensuppe köchelt. Und den Schönling, vor dem sich die Ähren verneigen.» Wir lachen viel, insgesamt sind es zirka vierzig Geschichten, die in der Landschaft erzählt werden. Die meisten kenne ich, schwieriger ist für den Akademiker, die Figuren in die Hand zu nehmen, sie zu formen, zu stellen, zu legen. «Fass sie an», sagt Marion Roloff, «beweg sie, spiel mit ihnen!» Es ist eine faszinierende, dem Schreibenden fremde Welt, in die man da eintaucht. Sie ist über viele Jahre gewachsen.
Der Liebhaberwert der Bibellandschaft ist riesig, der emotionale Wert für seine Schöpferin unbezahlbar. Marion Roloff fragt sich, was einst aus dem beweglichen Kunstwerk werden wird, wenn sie es nicht mehr betreuen kann. Immer freut sie sich über Besucher der Bibellandschaft, doch die Menschen hierzulande sind zurückhaltend, scheu, nicht nur in Corona-Zeiten, eigentlich könnte man einfach anrufen oder läuten.
Open door bis Maria Lichtmess
Die Tür stünde offen, bis Maria Lichtmess Anfang Februar. «Dann wird es wieder warm, dann möchte man im Wintergarten wieder frühstücken. Dann kehren die Figuren wieder zurück in ihre Aufbewahrungskisten.»
*Andreas Fischer ist Pfarrer in der reformierten Kirchgemeinde Region Rheinfelden.