Viel Natur und Geborgenheit
01.11.2020 WilReto Oeschger (18) und Andrina Frei (21) sind im TSV Mettauertal. Die beiden Wiler haben auch noch weitere Gemeinsamkeiten.
Bernadette Zaniolo
«Wil ist erstaunlich gut bedient. Für einen solch kleinen Ort, mit 700 bis 800 Einwohnern, haben wir alles», sagen Reto Oeschger und Andrina Frei freudig und fast ein wenig erstaunt. Mit «alles» meinen sie vorallem den Dorfladen (Volg), die Bäckerei und die Metzgerei. Der Dorfladen ist auch der Treffpunkt für den heutigen Spaziergang mit den beiden jungen Wilern. Doch aufgrund dessen, dass es zu dieser Jahreszeit früher dunkel wird, und der 18-jährige Reto Oeschger direkt von der Berufsschule in Lenzburg kommt (er ist im vierten Lehrjahr zum Konstrukteur am PSI in Villigen), geht es mit dem Auto auf die Tour. Vorbei an der Kapelle und der Bäckerei geht es rechts Richtung Rebberg.
Unser erster Stopp ist jedoch bereits bei der Blockhütte beim Schulareal. «Es ist ein spontaner Treffpunkt. Er wird von diversen Parteien genutzt», verrät Reto (wir haben beschlossen, dass wir uns dutzen). Damit meint er von Familien, Freunden und von Vereinen. So etwa dem TSV Mettauertal. Zu diesem sind Andrina und Reto bereits früh, über die Mädchen- beziehungsweise Jugendriege, gestossen. «Ich wurde noch nie vorher so offen aufgenommen wie im TSV», sagt Reto. Das unterstreicht auch Andrina Frei. Die 21-Jährige studiert an der Pädagogischen Hochschule in Windisch. Obwohl der Altersunterschied im Verein breit ist: «Alle haben es gut; ob älter oder jünger», betont die angehende Primarlehrerin Andrina. Sie und auch Reto sind in Wil aufgewachsen und kennen sich seit Kindheit. Andrina hat einen jüngeren und einen älteren Bruder (der ältere ist auch im TV), Reto hat eine jüngere und eine ältere Schwester (sie sind ebenfalls beim TV und die jüngere spielt wie Reto auch Unihockey).
Ein schöner Ort zum «Abefahre»
Angesprochen auf das Bergturnfest (Kreisturnfest) im 2014 sagen beide, dass sie es als «cool und mega schön» in Erinnerung haben. «Dies jedoch im heutigen Alter zu erleben, wäre sicher nochmals speziell», sagt Andrina und Reto nickt zustimmend. «Es ist ein schöner Ort, um zwischendurch mal ‹abefahre›», beschreibt Reto den Ort hoch oben beim Kreuz im Wiler Rebberg. Der Rebberg ist für Reto seit vielen Jahren ein vertrauter Ort, ist sein Vater doch der Kellermeister der Wiler Trotte. «Ja, auch ich trinke manchmal ein Gläschen Wein», sagt Andrina auf die entsprechende Frage. Während des Lockdowns war Reto hier im Rebberg oft zu Fuss unterwegs und auch Andrina war in dieser Zeit viel «go laufe und mit dem Velo unterwegs».
Vom Rebberg aus hat man einen wunderbaren Blick aufs Dorf und auch auf den Campingplatz, der sich unweit von Andrinas Zuhause befindet. Eine Art «Familientradition» bezeichnet sie die Besuche auf dem Campingplatz. Sie seien oft mit der Familie dort, zum Kaffee trinken oder zum Nachtessen. «Als Kinder waren wir oft dort zum Glacé essen», erinnert sich Andrina. Der Besuch des Campingplatzes lasse sich gut mit einem Spaziergang verbinden. «Heute bin ich in der Freizeit aber fast mehr in Gansingen», verrät Andrina. Sie teilt sich mit Rahel Hüsler die Scharleitung der Jubla Gansingen-Oberhofen. Reto engagiert sich im Jugendtreff Mettauertal in Hottwil.
«Hier bist du mit dir und der Natur alleine»
Es ist schon fast finster, als wir die Fotos beim Campingplatz machen. Reto will uns jedoch unbedingt noch einen seiner Lieblingsplätze zeigen. «Dort oben», zeigt er mit Blick auf die andere Seite. Auch mit dem Auto dauert es mehrere Minuten, bis wir dort angekommen sind. Ein Ort, den wohl nur wenige kennen. Unterhalb der Laubberg-Kapelle gibt es ein «Hoch»-Plateau. Von diesem hat man einen sehr schönen Ausblick. «Gehört das zu Wil?» fragt die Redaktorin etwas erstaunt. «Ja, hier etwa ist die Grenze», erwidert Reto schmunzelnd, während er auf die Inschrift bei der Nachbar-Linde zeigt. «Ein schöner Ort, um Musik zu hören oder nachzudenken. Hier bist du mit dir und der Natur alleine», sagt Reto. Er hat diesen Ort auf einer seiner zahlreichen Velotouren während des Lockdowns kennen gelernt. Nebenbei verrät der junge Wiler, dass er während dieser Zeit durch alle Ortschaften im Kanton gefahren sei.
In der Schule werde sie oft etwas neckisch gefragt, wo den Wil sei, sagt Andrina mit einem Lächeln. Sie und Reto sind sich einig: «Uns gefällt es in Wil sehr gut.» «Ab vom Schuss und doch zentral», sagt Reto. Beide haben sich an die nicht üppigen ÖV-Verbindungen gewöhnt. Und von Brugg aus seien sie schliesslich «sehr schnell überall».
Gute Nachbarschaft
Viel mehr schätzen sie, dass Wil im Gegensatz zu anderen Dörfern im Tal, «keinen Durchgangsverkehr hat.» Und Wil hat einen grossen «Schatz»: die Nachbarschaftshilfe. «Wenn du etwas nicht zuhause hast, kannst du beim Nachbarn klingeln und fragen», sagt Andrina voller Stolz. «Für mich ist es Heimat.» Sie schätzt es, dass sich «alle» kennen und so das Brot holen am Samstag zu einem schönen Erlebnis werde. Auch Reto freut sich über die gute Nachbarschaft, die bei ihnen im Quartier unter anderem am Samstag beim «Brunnen-Bier» gepflegt werde. «Irgendwie ist hier noch heile Welt», sagt Reto und Andrina erwidert kopfnickend: «schon irgendwie».
Unser «Feierabendbier» müssen wir an diesem Abend jedoch auswärts nehmen, die Wiler Restaurants haben «Wirtesonntag». Die beiden jungen Wiler wissen jedoch, dass ihr Vereinsstammlokal vielleicht schon bald für immer geschlossen sein könnte, da die Wirtin im Pensionsalter ist. Sie würden es zwar bedauern, «aber lieber zwei, drei Beizen im Tal, die gut laufen, statt sechs, die nicht gut sind.» Angesprochen darauf, ob sie sich auch vorstellen könnten, in einer anderen Gemeinde als Wil zu leben sagen sie unisono: «Am ehesten in Gansingen. Die beiden Dörfer sind sich am ähnlichsten.»
Obwohl es in Sachen Fusion der Gemeinden Mettauertal, zu welcher Wil gehört, und Gansingen immer wieder zu neckischen Bemerkungen auf Vereinsebene – wo teils schon gut zusammengearbeitet werde – komme und sie eine solche befürworten würden, glauben sie nicht daran, dass dies in den nächsten zehn Jahren Realität wird.