Alles begann mit einem Schulatlas

  04.11.2020 Olsberg

Städtepartnerschaft zwischen dem deutschen und schweizerischen Olsberg

Die 43-jährige Städtepartnerschaft der Fricktaler Gemeinde Olsberg mit der gleichnamigen Stadt in Nordrhein-Westfalen nahm auf etwas unkonventionellem Wege ihren Anfang. Im Mittelpunkt stand das «legendäre Bänklifescht» 1977.

Boris Burkhardt

Der Olsberger Alt-Gemeindeammann Romuald Stalder u nd Bü rgermeister Wol fgang Fischer aus dem deutschen Olsberg sind sich einig: So etwas wie die deutsch-schweizerische Partnerschaft ihrer beiden Gemeinden konnte nur in den Siebzigern zustandekommen. 1977 wurde in Olsberg im Fricktal das Dorffest zur Einweihung einiger gestifteten Bänke gefeiert: In drei Cars kamen damals unglaubliche 160 Besucher aus dem 510 Kilometer weit entfernten Olsberg im Hochsauerland (D), nur um mitzufeiern und die Schweizer Olsberger kennenzulernen – das war damals laut Stalder ein Besucher pro Haushalt in dem kleinen Dorf. So eine Spontanität wäre mit der heute vorherrschenden Sicherheitsmentalität nicht mehr möglich.

Noch heute spricht Stalder, Jahrgang 1955, ausschliesslich vom «legendären Bänklifescht». Fischer, Jahrgang 1963, kennt das Fest nur von Erzählungen seines 1991 verstorbenen Vaters Josef Fischer, hat sich von diesem aber vom «ausgeuferten Dorffest» ausführlich erzählen lassen: «Es muss Wahnsinn gewesen sein.» Der Unbeteiligte bekommt ein bisschen eine Ahnung von den damaligen Zuständen, wenn Stalder Bilder zeigt, auf denen die Verbindungsstrasse nach Magden beim Dorfausgang komplett zugeparkt ist. Das Bänklifescht 1977 war der offizielle Beginn der Städtepartnerschaft zwischen beiden Olsberg, die mit einem «Buch der Freundschaft» besiegelt wurde.

Olsberg im nordrhein-westfälischen Hochsauerland am Oberlauf der Ruhr etwa auf halbem Weg zwischen Dortmund und Kassel ist mit knapp 15 000 Einwohnern nicht gerade eine Grossstadt – der Unterschied zum Fricktaler Olsberg mit heute rund 370 Einwohnern ist aber enorm. 1977 hatte das hiesige Olsberg sogar nur rund 250 Einwohner, während das deutsche Olsberg 1977 seit der Eingemeindung von zehn Nachbardörfern zwei Jahre zuvor nur unwesentlich kleiner als heute war – um die Jahrtausendwende erreichte die Einwohnerzahl zwar ein Maximum von 16 300, sank bis heute aber wieder. Was verband und verbindet die deutsche Hüttenstadt am Rande des Ruhrgebiets mit ihren bis heute aktiven Hochöfen mit dem verschlafenen Pendlerdörfchen mit Kloster am Violenbach?

«Olschprg» und «Olsberch»
Der Beginn der Beziehungen zwischen «Olschprg» und «Olsberch» liegt fünf Jahre weiter zurück und ist ein weiteres Beispiel, wie unkompliziert das Leben in den Siebzigern war. Wie das «Buch der Freundschaft» berichtet, schrieb der damalige Olsberger Gemeindeammann Franz Baechler am 6. Juni 1972 einfach einen Brief an das deutsche Olsberg, nachdem seine Nichte die Namensvetterin in einem Schulatlas entdeckt hatte.

Die freundliche Antwort von Bürgermeister Josef Niggemann kam umgehend; und schon 1973 war Baechler mit zwei weiteren Gemeindevertretern in der zukünftigen Partnerstadt zu Besuch, die aufgrund einer zwischenzeitlichen Fusion mit dem Nachbarort zwischen 1969 und 1975 Bigge-Olsberg hiess. Ein Jahr später kam eine achtköpfige Delegation aus Deutschland zum Gegenbesuch, darunter auch Fischers Vater als Ratsherr. Höhepunkt war das Fest bei der Thomyhütte. Von Anfang an integriert in die Beziehungen waren auch die Olsberger, die im Baselbieter Teil der Gemeinde wohnen. 1977 wurden sie vertreten durch Bürgerratspräsident Walter Bussmann. Bisweilen war sogar die Rede von der Partnerschaft zwischen den «drei Olsberg».

Später zeigten die Fricktaler Olsberger ihren Gästen als hiesige Sehenswürdigkeiten unter anderem das Stift und die Raubtiervorführungen beim im vergangenen Jahr verstorbenen Jürg Jenny. Stalder erinnert sich schmunzelnd: «Unsere deutschen Besucher stellten sich vor, dass es Stofftiere seien. Sie hatten nicht mit echten Raubkatzen gerechnet.» Laut Stadler waren es vor allem die Menschen in den Schützenvereinen aus beiden Orten und den Feuerwehren, die die nötigen persönlichen Freundschaften schlossen, damit eine solche Jumelage mit Leben gefüllt wird. Frauenverein, Skatclub, Wandervereine und Jugendgruppen besuchten sich über die Jahrzehnte.

Stalder ist aber der Meinung, eine Städtepartnerschaft stehe und falle mit dem Gemeinderat und seiner Bereitschaft, sich intensiv um sie zu kümmern. Seit Anfang des Jahres liegt diese Verantwortung in den Händen von Stalders Nachfolger Karl Bürgi. Stalder persönlich fährt mit seiner Frau alle zwei Jahre «hinunter» ins fünf Stunden entfernte Olsberg. Von den alten Bekannten lebe allerdings nur noch eine Frau. Die deutschen Olsberger empfindet Stalder als «offene und freundliche Menschen». Auch sie sprächen ihren Dialekt, erzählt Stalder; man verständige sich aber auf Standarddeutsch.

Den Schützenverein im Fricktaler Olsberg gibt es inzwischen nicht mehr; und auch in der Feuerwehr pflegt laut Stalder aktuell niemand persönlichen Kontakt. Der letzte offizielle Besuch der Schweizer Olsberger war 2017 zum 40. Geburtstag der Jumelage. Danach lag die Partnerschaft «etwas am Boden», wie Fischer zugibt. Die Beziehungen seien aber wiederbelebt worden. Entgegen Stalder sieht Fischer die Jumelage vor allem als Aufgabe von Vereinen und Privatpersonen, weniger der Gemeindeverwaltungen. Dabei sei durchaus ein Problem, dass das Fricktaler Olsberg nur noch wenige Vereine habe. Der deutsche Bürgermeister, der erst am 13. September im Amt bestätigt wurde, ist sich aber sicher: «Die Freundschaft bleibt erhalten, keine Frage.»


Städtepartnerschaften

Städtepartnerschaften entstanden vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, zunächst ab 1947 zwischen Deutschland und Grossbritannien, ab 1950 zunehmend auch zwischen Deutschland und Frankreich. Diese Jumelages waren ein Stück weit «kommunale Aussenpolitik» und dienten der Versöhnung. Besonders symbolträchtig war 1959 die Verschwisterung der beiden Städte Dresden und Coventry, die jeweils am schlimmsten von Bomben verwüstet worden waren. Nach der Wende eröffneten sich neue Möglichkeiten für Partnerschaften in den ehemals kommunistischen Ländern Osteuropas, die eher einer Entwicklungshilfe glichen. Inzwischen schliessen Städte auf der ganzen Welt Partnerschaften. Partnerschaften zwischen deutschen und schweizerischen Gemeinden sind eher selten; die historisch erste Städtepartnerschaft schlossen allerdings 1913 Brugg und das der Alten Eidgenossenschaft zugewandte Rottweil.

Häufig sind auch Städtepartnerschaften von Gemeinden gleichen Namens wie eben der beiden (oder drei) Olsberg. Bekannt sind ganze Partnerschaftsringe gleichnamiger Städte wie Rot(h)enburg, Waldenburg oder – der häufigste Ortsname – Neustadt mit 36 Städten in Europa. Die beiden Rheinfelden unterhalten trotz ihrer engen Zusammenarbeit keine offizielle Jumelage.

Die deutsche Stadt Olsberg ist seit 1965 mit dem französischen Fruges bei Calais mit 2300 Einwohnern verschwistert sowie seit 1990 mit dem sächsischen Jöhstadt an der Grenze zu Tschechien mit 2600 Einwohnern. Olsberg unterhält einen «Garten der Freundschaft»: Drei Würfel auf Säulen mit je einem Guckloch lenken den Blick jeweils in die Richtung einer der drei Partnerstädte. (bob)


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