Bettler: Was der Aargau besser macht als Basel-Stadt

  27.08.2020 Leserbriefe, Rheinfelden

Vermeintliche Humanität:
Nachdem das Bettelverbot in Basel am 1. Juli durch einen Vorstoss der linken Parteien aufgehoben wurde, hat die Anzahl von Roma–Bettlerinnen und Bettlern aus Rumänien in der Basler Innenstadt auf einen Schlag stark zugenommen. Durch die neue Gesetzeslage hat die Polizei keine Handhabe mehr – es ist für sie höchst schwierig, einen Nachweis zu erbringen, dass es sich nicht nur um Einzelpersonen, sondern auch um organisierte Bettler handelt.

Es erinnert mich an ein Erlebnis in Bukarest, wo ich einige Zeit wohnte. Mein Arbeitsweg führte an einem Bettler vorbei, bei dem mir auffiel, dass ihm jeweils am Morgen das rechte und am Abend das linke Bein fehlte. Anscheinend war die Verrenkung, durch die er den Unterschenkel verbarg, nicht förderlich für die Durchblutung. Dann staunte ich nicht schlecht, als abends einmal ein Mercedes vorfuhr, um ihn abzuholen. Meine rumänischen Freunde klärten mich auf, dass Betteln ein florierendes Business ist und die besten Standplätze von «Bettlerbaronen» gehalten und mit eigenen Leuten ausgestattet werden.

In Rumänien ist Betteln heute verboten. Seither sind die Profis dieses Gewerbes in Westeuropa unterwegs: Die Freigabe des Bettelns zieht sie an. Doch die Toleranz solcher Geschäftsmodelle ist mit Sicherheit die falsche Politik. So bin ich denn überzeugt, dass der Aargau dem Beispiel von Basel-Stadt nicht folgen darf.

Weitsichtige Hilfe:
Ich wünsche mir, dass die Schweiz vermehrt Projekte in der Grund- und Berufsschulbildung bedürftiger Roma-Kinder und Jugendlicher in Osteuropa
unterstützt, damit sich diese nicht auf denselben Weg begeben. Denn die Schule vermittelt nicht nur Lesen und Schreiben, sondern auch den Wert von Arbeit und von Investitionen in die eigenen Fähigkeiten. Heute werden allein in Rumänien rund 20 000 Roma-Kinder pro Jahr in desolaten Verhältnissen geboren. Ein Grossteil unter ihnen besucht die Schule nicht oder nur für wenige Jahre. Mit einer normalen Schulbildung könnten sie sich auf dem Arbeitsmarkt integrieren. Doch zum Schulbesuch werden sie nicht angehalten.

Als ich vergangenes Jahr unterschiedliche Unterstützungsprojekte in Rumänien besuchte, konnte ich mich von der Sinnhaftigkeit und dem straffen Management der von der Schweiz unterstützten Projekte überzeugen: Unsere Steuergelder sind hier gut investiert. Leider hält die Schweiz die zweite Tranche des Erweiterungsbeitrags für die neuen EU-Länder als Pfand in den Verhandlungen mit der EU zurück – dies ist ein grosser Fehler.

Sinnvolle Unterstützungsprojekte nach dem Motto «Fördern und Fordern» sind die weitsichtige Alternative zu Almosen. Erstere schaffen Perspektiven, während letztere vielleicht das eigene Gewissen beruhigen, gleichzeitig aber unwillkommene Strukturen und Verhaltensweisen auf ewig zementieren.

MICHAEL DERRER, RHEINFELDEN


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