Wuschelige Naturpfleger im Einsatz
30.06.2020 Aargau, ZeihenHochlandrinder im Dienst der Artenvielfalt
Die Zusammenarbeit hat sich bewährt: Seit elf Jahren betätigen sich arbeitsame und robuste schottische Hochlandrinder auf acht Hektaren Wiese und Wald oberhalb Zeihen als erfolgreiche Naturpfleger. Die Wuschelköpfe haben erneut die amtliche Bewilligung für ihre begehrte Weidetätigkeit erhalten.
Paul Roppel
Grossflächig verstreut weiden die rotbraunen, zottigen Hochlandrinder auf dem weiten Hang hinter Oberzeihen und fressen sich mit stoischer Ruhe durch das hohe Gras voran. Besucher am Weidezaun werden gelassen mit einem kurzen Blick gewürdigt und weiter geht die eifrige Weidetätigkeit. Oder haben sie diese gar nicht gesehen? Den Eindruck könnte man zweifellos bekommen, denn die Haarsträhnen der wuscheligen und dichten Beatlesfrisur mit den neckischen Stirnfransen verdecken den kleinwüchsigen, massiven Tieren mit den langen Hörnern die Augen wie ein dichter Vorhang. Wie grosse Knuddelteddybären präsentieren sich die zahlreichen scheuen und wenige Wochen alten Jungtiere in ihrem langhaarigen, flauschigen Pelzkleid. Ein schwarzer, bullig kräftiger Stier komplettiert das schottische Herdenensemble mit den zehn Mutterkühen.
Waldbeweidung seit 1902 verboten
Erst seit 1995 ist die Haltung und Zucht dieser Hochlandrinder in der Schweiz erlaubt; aber während dieser Zeit haben sie sich in ihrer Nische unter anderem für die extensive Weidebewirtschaftung einen guten Ruf erworben. Die Herde am Fusse des Hombergs, nahe des Militärschiessplatzes Eichwald, genau im Gebiet Hondere und Ebnet, befindet sich aus diesem Grund sogar in einem Naturschutzgebiet von kantonaler Bedeutung, mit fünf Hektaren Wiese und drei Hektaren Wald – dies mit amtlicher Genehmigung. Im Jahre 1902 wurde nämlich die Beweidung des Waldes als sogenannte nachteilige Nutzung verboten. Wo vorher der Wald übermässig genutzt oder sogar ausgeräumt worden war, formte sich nun ein dichter, hoher und dunkler Waldbewuchs, der den immens breiten Artenreichtum an lichthungrigen Pflanzen und Tieren enorm dezimierte oder zum Verschwinden brachte. Lichte, warme Wälder waren zusehends seltener anzutreffen.
Hochlandrinder im Einsatz seit 2009
Drei Prozent der Waldflächen sollen durch solche Wälder im Kanton gemäss Naturschutzprogramm Wald durch Aufwertemassnahmen gebildet werden. Die Auswertung von zehn Beweidungsprojekten in Naturschutzreservaten im Zeitraum von 1997 bis 2006 führte dazu, dass auch für das Naturschutzgebiet Hondere Interesse aufkam. Besitzer sind die Armasuisse und die kantonale Sektion Natur und Landschaft.
«Die Abteilung Wald fragte uns an, ob wir an einem Projekt Waldweide interessiert wären», erzählt Rolf Treier, Betriebsleiter des Forstbetriebes Homberg-Schenkenberg. Sein Betrieb, der 1850 Hektaren Wald
in sechs Gemeinden betreut und 16 Angestellte und vier Lehrlinge beschäftigt, beteiligte sich schon mit vielen Dienstleistungen im Naturschutzbereich und in seinem Einzugsbereich befinden sich drei weitere kleinflächige Waldweiden. Nach diversen Vorleistungen und einer abgewiesenen Einsprache nahmen 2009 die ersten schottischen Hochlandrinder ihre Weidetätigkeit auf, die Treier auf privater Basis zur Verfügung stellt. Die Entschädigung für den Naturschutz fliesst in die Forstkasse.
Gebiet in drei Zonen aufgeteilt
In Absprache mit der Jagdgesellschaft und der Bewilligungsinstanz beweidet die Herde für maximal drei Wochen abwechslungsweise einen der drei gebildeten Sektoren, danach werden die Zaundrähte wieder entfernt. «Seither hat die Pf lanzenvielfalt massiv zugenommen. Wir haben sehr viele Orchideen», sagt Treier. «Durch jährlich zweimaliges und sehr aufwändiges Mähen würden wir in diesem Gebiet niemals die momentane Strukturvielfalt erreichen», fügt er an. Das Gebiet wurde mit einigen pf legerischen Massnahmen wie Bauten von Teichen, Tümpeln und Steinburgen zusätzlich aufgewertet.
Rinder als Landschaftsgärtner
Die Rinder gehen erfolgreich gegen die Verbuschung vor und unterstützen die Zielsetzungen: Der lichte Waldbestand mit seinem lückenhaften und fliessenden Übergang in die extensiv beweideten Wiesenhänge ist gewährleistet. Untersuchungen zeigen, dass Hochlandrinder ein grosses Potenzial als Gärtner in artenreichen Weiden haben, das Auf kommen von unerwünschten Gehölzpflanzen verhindern und die Artenvielfalt fördern, nicht zuletzt, weil sie im Fell anhaftende Pflanzensamen besser verstreuen. Das schonendere Trittverhalten, der geringere Futterbedarf und das weniger wählerische Fressverhalten im Vergleich zu produktionsorientierten Rinderarten sind Vorteile. Die kantonale Bewilligung für die zweite Verlängerung der Waldbeweidung war publiziert worden und ist nun bis 2025 gültig. Im nächsten Jahr wird die botanische und faunistische Erfolgskontrolle aufgenommen.
Kanton fördert lichten Waldbestand
Im Rahmen der zentralen Zielsetzungen für Naturschutzmassnahmen für die Schaffung und Erhaltung lichter Wälder als Lebensraum wärmebedürftiger Tier- und Pflanzenarten hat der Kanton Aargau zurzeit 60 Hektaren Waldweiden bewilligt. Die grösste Waldweide liegt im Musital (Tegerfelden/Rekingen) mit 15 Hektaren, gefolgt von Schenkenberg (Thalheim) mit 7 Hektaren und Sparberg in Remigen. An vierter Stelle folgt die Waldweide in Zeihen. Im Bezirk Laufenburg gibt es eine zweite, kleine Waldweide beim Talhof in Gipf-Oberfrick. Im Bezirk Rheinfelden existiert keine Waldweide.
«Durch die Beweidung kann der lichte Waldbestand in seiner Struktur erhalten und weiter entwickelt werden. Ausserdem schafft die Pflege mit Weidetieren zusätzliche Strukturen, die den Lebensraum für weitere Arten aufwertet. Die Erhaltung lichter Wälder ist aus ökologischer Sicht erwünscht und trägt zur Zielerreichung des Naturschutzprogrammes Wald bei», sagt Stefanie Burger, Biologin, von der Abteilung Wald im Departement Bau, Verkehr und Umwelt. So wurden verschiedene Orchideenarten von Ragwurzen sowie die Knollige Kratzdistel, aber auch Geburtshelferkröten (Glögglifrosch) und die Zweifarbige Beissschrecke und der Kurzschwänzige Bläuling (Schmetterling) in der Hondere in Zeihen beobachtet. (pro)