Soll der gemeinnützige Wohnungsbau stärker gefördert werden?

  24.01.2020 Abstimmungen

Pro und Contra zur Abstimmung vom 9. Februar: Initiative «Mehr bezahlbare Wohnungen»

Pro

Ja zu mehr bezahlbarem Wohnraum

Werner Erni, Grossrat SP, Möhlin

Gemäss Bundesverfassung soll allen Menschen in der Schweiz eine angemessene und bezahlbare Wohnung zur Verfügung stehen. Wohnen gehört wie Nahrung, Wasser oder saubere Luft zu den Grundbedürfnissen, aber der Markt spielt hier zu wenig.

Warum also die Initiative? Auf dem Land stehen teure Wohnungen leer, in den Städten sind sie Mangelware. Deshalb braucht es eine stärkere Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus, gerade für Familien und den Mittelstand. Die Mietpreise von Genossenschaftswohnungen liegen bei den 3- und 4-Zimmer-Wohnungen rund 15 bis 20 Prozent unter jenen von normalen Mietwohnungen. Das macht dann schnell einmal ein paar hundert Franken pro Monat mehr verfügbares Einkommen aus! Mehr gemeinnützige Wohnungen haben auch eine preisdämpfende Wirkung auf den normalen Wohnungsmarkt. Es geht hierbei nicht um subventionierte Sozialwohnungen! Die Initiative beschneidet in keiner Weise bestehende private Wohnungs- und Hausbesitzer.

Gemeinnütziger Wohnbau ist ein bewährtes Mittel um den steigenden Preisen entgegenzuwirken. Die Initiative verlangt, dass beim Neubau von Wohnungen mindestens 10 % (heute rund 5 %) gemeinnützige Wohnungen entstehen, um so die Vielfalt auf dem Wohnungsmarkt zu erhöhen. Dieses Ziel muss aber nicht in jeder einzelnen Gemeinde, sondern gesamtschweizerisch erreicht werden. Deshalb ist diese Forderung nicht übertrieben. Gerade auch im Fricktal ist, trotz aktuell im Entstehen begriffenen Projekten, erhebliches Potential vorhanden. Gemäss Mietpreisindex des Bundes sind die Mieten seit 2000 um 28 % gestiegen. Gerade Haushalte mit tiefen Einkommen und Rentner müssen schnell über ein Drittel für die Miete aufwenden. Mehr günstige Wohnungen entlasten also auch den Steuerzahler, weil dann weniger Menschen auf staatliche Unterstützung angewiesen sind.

Gemeinnützige Wohnbauträger (Genossenschaften, Städte und Gemeinden, Stiftungen oder gemeinnützigen Unternehmen) vermieten attraktive Wohnungen in Kostenmiete ohne die Rückstellungen für Erneuerung zu vernachlässigen, aber ohne Gewinn abzuschöpfen.

Die Initiative ermöglicht Kantonen und Gemeinden ein Vorkaufsrecht für geeignete Grundstücke, um gemeinnützigen Wohnungsbau zu fördern. Vorverkaufsrecht bedeutet, dass Kantone und Gemeinden die Grundstücke zum gleichen Preis kaufen können, den Private zahlen würden.

Die Initiative fordert Massnahmen, dass der Einsatz von Fördergeldern für energetische Sanierungen von alten Mietshäusern nicht zum Verlust von preisgünstigen Mietwohnungen führt.

Genossenschaften sorgen für eine gute Durchmischung, bieten Wohnsicherheit und gehen haushälterischer mit dem Boden um.

Die Initiative wird durch eine breite Allianz aus Mieterverband, Verband der Wohngenossenschaften, Hausverein, Gewerkschaften, Studierendenverband und Seniorenorganisationen unterstützt. Unterstützen auch Sie diese moderaten Massnahmen für mehr bezahlbaren Wohnraum indem Sie am 9. Februar ein Ja für die Initiative einlegen.


Contra

Mehr Bürokratie am falschen Ort

Markus Wick, Präsident HEV Fricktal, Rechtsanwalt Frick

Die Initiative verlangt: Wenigstens 10 Prozent der neuen Wohnungen müssen von Trägern des gemeinnützigen Wohnungsbaus erstellt werden. Dafür soll der Bund sorgen, zusammen mit den Kantonen.

Klingt doch eigentlich sympathisch. Was kann man schon gegen mehr billige Wohnungen haben? Ein Blick in die Statistik zeigt: Wohnungen sind primär in den Städten teuer. Dort wird die genannte Quote aber meist bereits erreicht oder gar deutlich übertroffen. Gesamtschweizerisch gibt es genug Wohnungen. Gemäss dem Bundesamt für Statistik steigt die Zahl der nicht vermieteten Wohnungen trotz Bevölkerungswachstum seit längerem an, von rund 57 000 im Jahr 2016 auf rund 75 000 im Juni 2019. 1,66 Prozent aller Wohnungen standen 2019 leer. So viele wie seit 20 Jahren nicht. Über kurz oder lang bringt ein hoher Leerbestand die Mieten zum Sinken. Statt dass Lösungen vor Ort – in den Kantonen und vor allem in den betroffenen Städten – gesucht werden, soll nun von oben herab eine starre, gesamtschweizerische Quote vorgeschrieben werden. Für die Städte ist sie vielfach zu tief, für den ländlichen Raum zu hoch. Wie sie zwischen diesen «aufgeteilt» werden soll, ist offen, genauso, mit welchen staatlichen Interventionen am freien Markt sie nötigenfalls erzwungen würde. Tritt dann der Staat als gemeinnütziger Wohnungsbauer auf? Sicher ist: Eine Vielzahl neuer Staatsangestellter würde mit der Festlegung, Um- und Durchsetzung sowie Kontrolle der Quote beschäftigt sein. Regulierungsdichte, Aufwand und Kosten nähmen entsprechend zu.
Könnte man wenigstens sicher sein, dass die Richtigen von diesen staatlichen Bemühungen profitieren? Keineswegs. Als gemeinnützig gelten Liegenschaftseigentümer, die nicht gewinnorientiert vermieten. Aber wer wohnt in diesen günstigen Wohnungen? Gemäss einer Studie des Bundesamtes für Wohnungswesen aus dem Jahr 2017 hatten gegen 70 Prozent von ihnen ein mittleres oder gar hohes Einkommen. Nur eine Minderzahl dieser Wohnungen wurde von ärmeren Leuten belegt. Die meisten Wohnbaugenossenschaften kennen keine Einkommens- oder Vermögenslimite für ihre Mitglieder. Die Initiative ändert daran nichts. Kantone und Gemeinden sollen ermächtigt werden, zur Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus Vorkaufsrechte für sich einzuführen. Dadurch ergäbe sich ein Flickenteppich von Vorkaufregeln und eine Vielzahl staatlicher Eingriffe in den freien Wohnungsmarkt.

Gemäss der Initiative sollen ferner öffentliche Fördergelder für Sanierungen nicht zum Verlust günstiger Mietwohnungen führen. Solche Förderbeiträge decken meist einen sehr kleinen Teil der Gesamtkosten. Bereits das Mietrecht bestimmt, dass höchstens der Restbetrag auf die Mietzinsen umgelegt werden darf. Ist dies nicht mehr, nur noch beschränkt oder nach Kontrollen und erheblichem Aufwand möglich, so werden Sanierungen gebremst. Insbesondere bei energetisch wirksamen baulichen Massnahmen ist das nicht erwünscht.

Fazit: Mehr Bürokratie am falschen Ort mit fraglichem oder fehlendem Nutzen. Wollen wir das? Ich nicht.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote