«Ganz oder gar nicht»
21.09.2019 PorträtWenn er etwas mache, dann immer mit einer grossen Fokussiertheit, sagt Simon Enzler
Kabarettist Simon Enzler (43), der am 23. und 25. September in Fricks Monti auftritt, über sein Programm «wahrhalsig», seine e-Mobilität, das Leben als Fisch und Fischer sowie seinen besten Appenzöller Witz.
Von Reinhold Hönle
NFZ: Was verstehen Sie als ehemaliger Philosophie-Student unter dem Begriff Wahrheit?
Simon Enzler: Die vier Semester sind lange her! (lacht) Meine Wunschvorstellung wäre, dass die Wahrheit etwas ist, das für alle stimmt, und nicht etwas, das eine Minderheit für sich gepachtet hat und zu ihrem Vorteil auslegt. Leider ist sie jedoch zu etwas verkommen, dass die Mächtigen der Mehrheit glaubhaft zu machen versuchen.
So sehen Sie die grösste Gefahr?
Die Einschränkung des Zugangs zu Informationen bedroht die Meinungs- und Pressefreiheit. Weil immer weniger verbreitet wird, was wahr ist, sondern was dem Auftraggeber passt, ist es sehr schwierig, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Die Elektromobilität ist ein gutes Beispiel. Wenn man liest, wie dort Stimmung gegen sie gemacht wird, obwohl wissenschaftlich erwiesen ist, dass es keine Alternative dazu gibt.
Fahren Sie ein vollelektrisches Auto?
Ja, seit 2014. Ich bin damit schon über 150000 Kilometer unterwegs. Du rollst so ruhig durch die Landschaften! Es ist für mich deshalb allein schon vom Komfort her undenkbar, je wieder einen Liter Benzin zu kaufen, ganz abgesehen von der Ökologie und dem sparsamen Umgang mit unseren Ressourcen. Da es so viele Unternehmen mit anders gelagerten Interessen Einfluss nehmen, wird die Wahrheit bei diesem Thema jedoch mehr verschleiert, als publik gemacht.
Von wem ist das Bonmot «Die Wahrheit ist ein kostbares Gut. Lasst uns sparsam damit umgehen»? Boris Johnson oder Donald Trump?
Das ist ein typischer Politiker-Satz. Voller Zynismus. Politische Führer, denen es vor allem um ihren Machterhalt geht, haben oft das Gefühl, sie dürfen die Gesellschaft nicht mit der Wahrheit überfordern. Lieber behandelt sie diese wie ein Kind oder verkaufen sie für dumm. Heute kann ja jeder über Social Media ungestraft Lügen verbreiten. Wünschenswert wäre: «Die Wahrheit ist ein kostbares Gut. Lasst alle daran teilhaben»?
Das Bonmot stammt übrigens von Mark Twain...
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Was hat Sie zum wortschöpferischen Titel Ihres aktuellen Programms inspiriert?
«Wahrhalsig» kommt von der Stimmung in meinen Geschichten. Meine Figuren sind Typen, die im Brustton der Überzeugung ihre Meinung kundtun. Da gibt es den Satz «Wer behauptet, hat Recht ...» und den hört man nicht nur an den Stammtischen immer häufiger. Wenn etwas nur möglichst laut und möglichst oft gesagt wird und irgendwer es glaubt, wird es irgendwann wahr. Hingegen ist es schon ein Risiko, wenn man eine Wahrheit ausspricht, die nicht jedem passt. Deshalb steckt im Titel auch «waghalsig» drin.
Wie wichtig ist es Ihnen, Kabarett zu machen, bei dem einem das Lachen auch mal im Halse stecken bleibt?
Es gibt an jedem Abend genug zu lachen. Aber man muss nicht dauernd gigele, sondern auch mal das Publikum auf eine falsche Fährte locken und dann mit einer knochentrockenen Pointe dafür sorgen, dass ihm angesichts der Wahrheit das Lachen vergeht.
Sind Ihnen als passioniertem Fischer auch schon Gräten im Halse stecken geblieben?
Nein, da habe ich bisher Glück gehabt. Dafür hatte ich schon mal in einem wunderbaren Restaurant ein Schrotkorn im Rehpfeffer.
Wie sind Sie zum Fischen gekommen?
Wasser ist in meinem Leben seit je ein sehr wichtiges Element. In jungen Jahren war ich ein leidenschaftlicher Schwimmer, und ich liebe Chris Reas Song «Gone Fishing», der von der Ruhe handelt, wenn du einsam an einem Fluss stehst und schaust, was passiert. Vor drei Jahren hab ich mir dann gesagt, jetzt mache ich den Einführungskurs und das Fischerpatent. Ich will nicht bis zu meiner Pensionierung warten. Sachen, die einem gefallen und faszinieren, sollte man nicht aufschieben.
Mit welcher Technik fischen Sie?
Meistens nur mit einem Haken und einem Wurm – ohne Blei und ohne Schwimmer. Das ist die total altmodische Art. In Amerika nennt man das Free Lining. Der Vorteil ist, dass sich der Köder extrem natürlich verhält. Wenn der Wurm am Haken ins Wasser geworfen wird, treibt er mit der Strömung dorthin, wo der Fisch das Futter vermutet und nicht, wo ich den Fisch vermute.
Was passiert in Ihrem Kopf, wenn Sie am Fischen sind?
Totale Fokussiertheit auf das, was ich mache. Ich habe nie eine Idee, sondern bin immer total am Fluss, total in der Natur. Ebenso konzentriert bin ich, wenn ich bei der Arbeit am Computer hocke. Ich mache ein Hobby so exzessiv wie den Beruf. Ganz oder gar nicht.
Denken Sie an den Fisch, den Sie fangen wollen, oder meditieren Sie?
Ich überlege: Wie bewegt sich das Wasser? Wo macht der Bach eine Kehre? Wo schwimmt der Fisch lang? Deshalb ist mir das Fischen an einem See langweilig. Ich sitze nur ungern eine halbe Stunde am gleichen Loch, sondern wechsle lieber immer wieder meinen Standort.
Welches war der grösste Fisch, den Sie bisher an Land gezogen haben?
Das war eine Barbe, 62 Zentimeter lang, etwa 3 bis 4 Kilo schwer.
Wie gehen Sie damit um, wenn sie nicht beissen?
Da bin ich mittlerweile in einem Alter, in dem ich mich nicht mehr drüber nerve. Es geht ums Fischen und nicht ums Fangen. Wenn’s passiert, ist es die Krönung, wenn nicht, bin ich trotzdem Fischen gewesen. Und habe ein Eichhörnchen gesehen oder einfach den Moment genossen.
Haben Sie spezielle Flüche auf Lager, wenn beim Fischen etwas schief läuft?
Flüche?
Für Ihr appenzöllisches Fluchen sind Sie doch bekannt!
Wenn ich mal einen schönen Fisch an der Schnur habe und er mir abkommt, rutscht mir vielleicht ein «Sakrament nonemol!» heraus, aber dann fluche ich nicht über den Fisch, sondern über meine Unfähigkeit oder Ungeduld.
Fällt es Ihnen schwer, Ihren Fang zu töten und auszunehmen?
Nein, überhaupt nicht. Es ist nicht nur ein Hobby, es hat auch einen archaischen Aspekt. Es ist eine Art der Nahrungsmittelbeschaffung. Wenn ich die Möglichkeit habe, vor meiner Haustüre ausgezeichnete frische Forellen zu fangen, gehe ich doch nicht in die Migros, um mir einen Fisch aus Zucht zu kaufen! Mir ist absolut bewusst, dass ein Tier sein Leben lässt. Ich gehe deshalb behutsam mit ihm um, damit es nicht leiden muss oder überleben kann, falls ich es wieder ins Wasser werfe, weil es noch zu klein ist.
Bereiten Sie Ihre Fische selber zu?
Natürlich, am liebsten klassisch in Butter ausgebraten, aber vieles andere ist auch möglich. Kürzlich habe ich von meinem ehemaligen Bassisten Daniel Ziegler gelernt, wie man aus Forellenfilets, Limetten und Chili einen sehr feinen Salat, das peruanische Nationalgericht Ceviche, machen kann.
Planen Sie Ihre Ferien schon nach den Fischgründen?
Nein, da steht die Familie im Vordergrund. Wenn ein Gewässer in der Nähe ist, ist die Rute jedoch stets in Griffnähe.
Sie träumen auch nicht vom Fliegenfischen in Alaska?
Der schöne Fischbestand in der Sitter reicht für mich noch völlig aus. Vielleicht fahre ich irgendwann mal mit Kollegen für ein paar Tage nach Schottland. Oder Südfrankreich.
Sie selbst sind auch ein Fisch…
Das kommt noch dazu!
Welche typischen Eigenschaften Ihres Sternzeichens haben Sie?
Fische sind nicht ganz fassbar. Sie haben eine schliefrige Haut und sind manchmal schnell weg, wenn sie sich mal entschieden haben. Einige Sachen mache ich ganz allein mit mir aus und lasse andere nicht am Prozess teilhaben. Das ist nicht der beste Charakterzug, gehört aber wohl zum Gesamtpaket.
Nicht ganz einfach, wenn man eine Familie hat.
Ja. Ich muss mir für meinen Beruf meine Freiräume nehmen und bin trotzdem oft bei der Familie. Da bin ich manchmal mehr Forelle, ein Raubfisch, mal mehr Karpfen, ein friedliebendes Tier – je nach Stimmung.
Nähern Sie und Ihre Bühnenfiguren sich eigentlich mit den Jahren, wie ein altes Ehepaar, einander an?
Ja, es ist jedoch so, dass sich mit dem Älterwerden meine Figuren meiner Privatperson annähern. Ich werde mehr sichtbar und spreche mehr meinen eigenen Appenzeller Dialekt, als ich das alte Idiom zur Schau stelle. Heute fühlt sich das für mich richtiger an.
Können Sie uns Ihren Lieblings-Appenzeller-Witz erzählen, oder werden wir nach dieser Frage exkommuniziert?
Ich überlege es mir. Wahrscheinlich ist es derjenige, wo ein Reformierter in die Hölle kommt und vom Teufel herumgeführt wird. Alles ist so wunderbar und schmöckt so fein. Der Reformierte hat sich das alles ganz anders vorgestellt, aber irgendwo ist so ein grosses, von einem Vorhang verdecktes Fenster. Da entdeckt er, dass hinter der Scheibe Menschen gefoltert und abgeschlachtet werden, und fragt den Teufel: «Um Herrgotts Willen, was ist denn das?» Er antwortet: «Das ist für die Katholiken, die wollen das so!» Die Katholiken sind dabei den Innerrhödlern und die Reformierten den Ausserrhödlern gleichzusetzen.
Simon Enzler
Simon Enzler wurde am 10. März 1976 in Appenzell geboren, wo er heute – nach einem vierjährigen Intermezzo in Zürich – wieder lebt. Er bewohnt zusammen mit seiner Frau und den gemeinsamen Söhnen (6 und 8) ein Haus ausserhalb von Appenzell. Die humoristische Ader hat Enzler von seinem Vater, einem leidenschaftlichen Witzeerzähler. Nach ersten öffentlichen Auftritten 1999 vernachlässigte er sein Philosophieund Theologiestudium und machte sein Hobby mit rasch wachsendem Erfolg zum Beruf. 2007 wurde er mit dem Salzburger Stier, 2008 Prix Walo und 2012 mit dem Schweizer Kabarettpreis Cornichon ausgezeichnet. Nachdem seine Programme anfänglich vor allem von der Exotik des markanten Appenzeller Dialekts und den hemdsärmeligen, knorrigen Figuren lebten, behandelt seine Satire heute ein wesentlich breiteres thematisches Spektrum. Mit seinem Programm «wahrhalsig» ist Enzler für den Swiss Comedy Award nominiert, der am 17. September im Zürcher Bernhard Theater verliehen wird. (rhö)