Zwei Piloten wollen in den Schlagerhimmel
29.06.2019 MöhlinDer in Möhlin wohnhafte Andy Steiner und sein Musikpartner Roger Jenny wollen als Pop-Schlager-Duo hoch hinaus. Sie nennen sich Herzpiloten.
Ronny Wittenwiler
Nein, noch ist die Luft lange nicht raus beim knallroten Gummiboot. Wenn längst Marmor, Stein und Eisen bricht, so besitzt der Schlager, dieses eigentümliche Musikgenre, die Halbwertszeit von Uran. Das wissen auch Andy Steiner aus Möhlin und sein Kompagnon, der Schaffhauser Roger Jenny.
Gemeinsam hocken sie im Restaurant Schiff in Möhlin, trinken einen Kaffee, beantworten der NFZ die Fragen nach intellektueller Flughöhe in Schlagertexten und geben Auskunft über ihre eigene Route. Steiner und Jenny sind die Herzpiloten. Was beim ersten Hinhören ein bisschen nach Rettungsflugwacht tönt, klingt beim Reinhören nach Sehnsucht, Sandstrand und Sommersonne.
Unerwartet erfolgreich
Seit rund einem Jahr basteln die beiden an ihrer Karriere als Schlagersänger und spätestens hier hinkt der Vergleich mit dem knallroten Gummiboot. Der Klamauk von einst ist nicht mehr, die Klamotten der Sechziger und Siebziger liegen längst in der Kiste, Schlager ist zeitgenössischer geworden. Andreas Gabalier legt jeweils ein Feuerwerk auf die Bühne, Helene Fischer sowieso. Pop-Schlager heisst das Zauberwort der Neuzeit und wenngleich vielleicht niemand auf Andy Steiner und Roger Jenny gewartet hatte, so gelang ihnen gleich Bemerkenswertes. Im Mai 2018 nahmen die Herzpiloten Kurs auf Mallorca und drehten dort an der Nordostküste ihr erstes Musikvideo, die dazugehörende Single boten sie im September mehreren Radiostationen in Deutschland an und dann – «dann sind wir auf unerwarteten Erfolg gestossen», sagt Steiner.
Im Radio rauf und runter
Ohne Vertrag mit einem Plattenlabel durchbrachen sie im Land des Schlagers die Phalanx einer höchst kommerziell getakteten Branche. Radio Paloma, mit einer Million Hörern das beliebteste deutsche Schlagerradio, schickte den Song monatelang über den Äther; andere Sender in Deutschland und Österreich spielten ihn ebenfalls rauf und runter. «Aus dem Song ist ein kleiner Hype entstanden. In Deutschland erreichte er Platz 25 der Airplay-Charts», sagt Roger Jenny und tatsächlich, wer im hart umkämpften Musikbusiness an den vorderen Ziffern der Hitparade kratzt, kann keine absolute Nullnummer sein. Ich werd’ die Sehnsucht nicht mehr los, heisst ihr Erstling, wenig überraschend handelt er von grossen Gefühlen, ja, einmal mehr beim Schlager geht es um die liebe Liebe und ihre Baustellen. Genauso wie bei Montego Bay, noch so ein Song der Herzpiloten; eben erst fertig produziert in Steiners Tonstudio in Möhlin, ist auch diese Single auf Anhieb in die Top 100 der deutschen Airplay-Charts eingestiegen. Der Text ist eine von wilder Romantik triefende Sturmflut am jamaikanischen Meeresstrand: Der Himmel ist für uns reserviert. Ich spür, dass es heut Nacht passiert. Montego, Montego, Montego Bay – zwei Augen wie Sterne und Haut wie Milchkaffee.
«Das Publikum will keine sozialkritischen Texte»
Manchmal ist es die heile Welt, fast immer sind es die vermeintlichen Banalitäten in den Texten, an denen sich die härtesten Kritiker des Schlagers stossen, ihm abschwören oder, im Optimalfall, ihn allenfalls bloss heimlich hören. Andy Steiner und Roger Jenny lächeln. Sie kennen diese Kritik, hätten sich ohnehin nie an dieses Projekt gewagt, würden sie sich an all den wahren und unwahren Vorurteilen abarbeiten. «Das ist für uns völlig okay», sagt Andy Steiner. «Dieses vermeintlich Banale in Schlagertexten – ich glaube, das Publikum will sich in solchen Momenten doch gar nicht mit sozialkritischen Texten befassen. Es will feiern. Mitsingen. Punkt.» Roger Jenny ergänzt mit ruhiger Stimme und breitestem Schaffhauser Dialekt: Dieses Verliebtsein, dieses Enttäuschtsein. Diese Sehnsucht, die man nicht mehr loswerde, «realistisch gesehen durchlebt doch jeder in Beziehungen mal Höhen und Tiefen.»
Der Kitsch im realen Leben
Die zwei Männer legen im Hinblick auf ihre ungewisse musikalische Zukunft eine aussergewöhnliche Gelassenheit an den Tag. «Der Gedanke, es als Pop-Schlager-Duo in unserem Alter noch einmal wissen zu wollen, hat uns einfach gepackt», sagt Roger Jenny. Beide sind über fünfzig, «aber nur leicht über fünfzig», sagt Jenny erhobenen Fingers; auf allgemeines Gelächter, weil die meisten grossen Schlagerstars ohnehin schon in fortgeschrittenem Alter seien – oder tot – wird es noch einmal konkret. Nein, ihr Projekt gründe nicht auf einer Träumerei. «Es ist vielmehr ein Traum, den wir jetzt leben. Wir können unserer Leidenschaft nachgehen und haben nichts zu verlieren.»
Ob die Herzpiloten tatsächlich noch auf der grossen Bühne landen werden, wird sich zeigen müssen. Dass es für gewisse Momente im Leben nur den richtigen Ort und Zeitpunkt braucht, zeigt sich jedenfalls an ihrem eigenen Beispiel. Als sie sich in jungen Jahren ein erstes Mal begegnet waren, trennten sich ihre Wege, hatten 25 Jahre nie mehr voneinander gehört, bis sich im 2014 der Basler Andy Steiner und der Schaffhauser Roger Jenny zufällig wieder über den Weg liefen – an einer Gartenparty in Möhlin. Wäre dieses Szenario die Vorlage für einen Schlager, auch er bekäme das Etikett Kitsch.
Die beiden haben den Kaffee leer getrunken und verabschieden sich. Zu Fuss gehen die Herzpiloten zurück ins kleine Tonstudio von Andy Steiner, arbeiten weiter, in die Nacht hinein, manchmal atemlos. Später erreicht die Redaktion eine Mail: «Vielen Dank für das Gespräch. Wir haben uns sehr wohl gefühlt.» Klingt nach Bodenständigkeit. Dennoch wollen die zwei Piloten jetzt abheben und im siebten Himmel der Schlagerszene nach einem Stern greifen. Nach einem, der ihren Namen trägt.
Im August 2017 portraitierte die NFZ den in Möhlin wohnhaften Andy Steiner, der als
Musikproduzent bereits Hits komponierte, unter anderem für die in der Schlagerszene bestens bekannten «Paldauer».
Er selber hatte bereits Engagements als Keyboarder von «ChueLee», später bei den «Calimeros».