«Der Dialekt ist ein Sprachbad für mich»
15.05.2019 LaufenburgMarkus Manfred Jung ist der erste Burgschreiber beider Laufenburg: Der 64-jährige Mundartdichter aus dem Kleinen Wiesental verarbeitet Begegnungen beiderseits des Rheins in literarischer Form und bemerkt vor allem die Freundlichkeit der Laufenburger.
Boris Burkhardt
Er werde inzwischen auch auf der Strasse angesprochen, freut sich der erste Burgschreiber beider Laufenburg, Markus Manfred Jung: «Fremde Menschen erzählen mir ihre Geschichte und suchen das Gespräch mit mir.» Der 64-jährige pensionierte Gymnasiallehrer und Mundartdichter aus dem Kleinen Wiesental bei Schopfheim hat vom 1. März bis 31. Mai in der Zwillingsstadt die Aufgabe, das gesellschaftliche Leben zu begleiten, die Laufenburger beiderseits des Rheins kennenzulernen und diese Erfahrungen dann literarisch zu verarbeiten. Jung ist der erste Burgschreiber; das Stipendium wurde auf Schweizer Seite vom Kultschüür-Chef Martin Willi und auf badischer Seite von der Schriftstellerin Petra Gabriel entworfen und von beiden Städten ausgeschrieben (die NFZ berichtete).
«Das macht mich offener»
Die Offenheit und Freundlichkeit der Laufenburger freut Jung: «Das macht auch mich offener als gewöhnlich.» Jung isst regelmässig in Restaurants, geht zu öffentlichen Anlässen, setzt sich ins Café oder an den Stammtisch: «Kürzlich war ich ganz überrascht, am Grenzübergang eine Zöllnerin im Schweizer Häuschen zu sehen und sprach mit ihr über ihre Arbeit.» Ausdrücklich erwähnt Jung auch die Jugendlichen, «die oft als problematisch bezeichnet werden, weil sie einen Ghettoblaster auf der Schulter tragen»: Auch sie grüssten ihn und schauten ihm dabei in die Augen.
Bis Ostern wohnte Jung privat auf Schweizer Seite; seither ist er in Rhina bei Petra Gabriel untergekommen. Die private Unterkunft gehört zum Konzept des Burgschreibers. «Ich bewege mich aber ständig beiderseits des Rheins», erzählt Jung weiter. Auch sei er schon mit allen Verkehrsmitteln von allen Himmelsrichtungen in Laufenburg «angekommen», denn unter diesem Motto steht seine Burgschreiberschaft: zu Fuss auf den Wanderwegen, mit dem Velo, dem Auto und auf dem Rhein mit dem Kanu. «Sogar mit dem Flugzeug kann man nach kommen», meint er schmunzelnd und blickt von der Bank auf der Burgruine, wo er sitzt, nach oben in die Einflugschneise Klotens: «Wenn man auf der richtigen Seite sitzt, kann man es sehen.»
Neben einem längeren Prosatext und einigen Kolumnen sind bisher auch einige wenige Gedichte aus diesen Erfahrungen in Laufenburg hervorgegangen: Er trug sie zum Teil schon auf Lesungen vor, was ebenfalls zu seinen Aufgaben als Burgschreiber gehört.
Jung ist im deutschen Dreiländereck der derzeit bekannteste Mundartdichter und liebt an der modernen Lyrik vor allem das Sprachspiel und die Lautmalerei. Deshalb sagt er auch über seinen Aufenthalt in beiden Laufenburg: «Ein kleiner Zyklus mit zehn bis zwölf Gedichten wäre ein grosser Gewinn für mich. Aber ein Gewinn sind bereits jetzt die vielen Begegnungen mit Schriftstellerkollegen und literarisch interessierten Menschen in beiden Laufenburg.»
Aus Laufenburg/Schweiz kennt Jung den Schriftsteller Christian Haller; weitere Aargauer Autoren wie Ernst Halter, Klaus Merz und Andreas Neeser sowie die mittlerweile verstorbene Erika Burkart waren bereits zu Gast bei ihm in Schopfheim, allerdings nicht am Mundartworkshop, den er jährlich veranstaltet, sondern mit ihren standarddeutschen Texten in den Schopfheimer Bibliothekslesungen.
«Raus aus der Komfortzone»
Zeitgleich schreibt Jung in Laufenburg an einem eigenen Text; das Stipendium des Burgschreibers soll dem Schriftsteller auch dafür Zeit und Musse geben. Jung verarbeitet darin die 21-tägige Wanderung durch die Schweiz nach Norditalien, die er vergangenes Jahr nach seiner Pensionierung ohne Karte und Plan unternahm. Er zitiert dazu aus seinen damaligen Tagebuchaufzeichnungen, die er auf Alemannisch schrieb, und bettet diese in standarddeutsche Texte ein. Neben Aufbrechen und wieder Ankommen sind Sehnsucht, Wehmut, Aberglaube oder Pflichtgefühl Themen der Texte. Ein Kapitel widmet er auch Erinnerungen an Laufenburg, das er allerdings während der Wanderung nicht besuchte. Seinen Aufenthalt in der Zwillingsstadt sei «nicht so einfach, wie ich mir das vorgestellt habe», gibt Jung zu: «Das bedeutet schon raus aus der Komfortzone; und ein Vierteljahr ist eine lange Zeit.» Aber die wertvollen Begegnungen in beiden Laufenburg machten dies mehr als wett. Jung kannte den badischen Teil der Zwillingsstadt schon vor seiner Burgschreiberschaft gut; in die Buchhandlang am Andelsbach brachte er als Student die ehemalige Freiburger Kulturzeitschrift «Deyflsgiger». Auch hielt er dort mehrfach Lesungen. Mit der mehreren Stadt verbindet Jung hingegen der Tango, den er vor Jahren in der Kultschüür tanzen lernte. Auf der Schweizer Seite freut den Mundartdichter, der in Lörrach-Stetten an der Grenze zu Riehen aufwuchs, vor allem auch der hohe Stellenwert des Dialekts: «Das ist ein Paradies für deutsche Verhältnisse.» Beide Laufenburg verbinde der ähnliche Dialekt: «An der Sprachmelodie hört man aber sofort, wer von welcher Rheinseite kommt.»
Schweizer verstehen Wiesentäler Dialekt
Begeistert erzählt Jung, wie die Schüler der achten Klasse bei seinem Besuch alles verstanden hätten, was er im Wiesentäler Dialekt gesagt und geschrieben habe, und welch grossen Wortschatz die Jugendlichen selbst verwendeten: «Das passiert mir auf der deutschen Seite nicht mehr. Das ist ein richtiges Sprachbad und stärkt auch mein eigenes Denken und Leben im Dialekt.»