«Ich werde mein ganzes Leben lang Zirkus machen»
16.03.2019 FrickManche träumen vom Zirkus, Francesco Nock lebt diesen Traum
Francesco Nock, 24, ist Vollblut-Zirkusartist. Er gehört zur 8. Generation der Familie Nock, deren Aargauer Zirkus der älteste der Schweiz ist und sein Winterlager in Oeschgen hat.
Birke Luu
Ich gebe zu, ich bin kein ausgesprochener Zirkusfan – ich habe immer viel zu viel Angst um die Artisten. Da ist es vielleicht ganz heilsam, dass ich heute den jüngsten aktiven Artisten der Zirkusfamilie Nock kennenlernen darf. Eigentlich ist ihr Winterlager in einem umgebauten Bauernhaus inklusive Übungsscheune in Oeschgen, aber sie haben gerade einen Auftrag in Frick, wo ich einfach zum Zeltaufbau dazustossen darf. Ich treffe Francesco Nock in der noch leeren Manege – einzig sein Todesrad hängt dort von der Decke. Noch sieht das alles gar nicht so spektakulär aus. Aber als er es später für unsere Fotos in Bewegung setzt und Licht und Sound gerade getestet werden, da ist schon die beeindruckende Wirkung zu erahnen, die es am nächsten Abend in der Vorstellung entfalten wird. Unser Gespräch führen wir dann aber am sicheren Manegenrand, die Füsse in duftenden Sägespänen. «Das ist Zirkusluft: Sägespäne und Popcorn», lächelt Francesco Nock. «Unser Familienzirkus ist mein Zuhause, der liegt mir sehr am Herzen», erklärt er selbstbewusst und offen.
Zirkuskind
Als Kind zweier Artisten wuchs Francesco Nock im Zirkus auf, lernte früh erste Kunststücke. Während dem Tourneen ging er in die eigene Zirkusschule, wieder zurück im Winterquartier besuchte er die Primarschule Frick und trainierte im Fussballverein Eiken. Hatte er da Probleme Anschluss zu finden? «Nein, nie. Die anderen Kinder fanden mich interessant. Ich machte Handstand oder Flickflack und schon hatte ich Freunde», erinnert er sich. Nach seinem Schulabschluss gab es für ihn keine Alternative zum Zirkus: «Ich habe mal eine Woche lang eine Lehre als Automechaniker ausprobiert, aber mein Körper konnte nicht stillsitzen, der braucht einfach Flickflacks», grinst er. So wurde er von Onkel und Vater trainiert und als Artist ausgebildet. «Von meinem Vater habe ich die gefährlichen Nummern mit Todesrad und Todeskugel übernommen», schmunzelt er, «das Hochseil habe ich mir dann selbst ausgesucht und beigebracht».
Vielfältiger Artist
Insgesamt bietet er heute fünf verschiedene Nummern an. So vielfältig sind nicht alle Artisten. «Der Alltag macht müde und dann noch zusätzlich das Neue üben, dafür braucht es viel Geduld und Willen». Francesco Nock ist aber jung und liebt Herausforderungen. Begeistert plant er gerade, die Nummer seines Opas zu übernehmen: eine hoch aufragende Stuhlpyramide mit vier Flaschen als Basis. «Eigentlich bin ich ein Adrinalinfreak, aber irgendwann möchte ich auch mal Komiker sein». Da darf man gespannt sein, was sich der Artist bis nächstes Jahr zum 160-Jahr-Jubiläum des Circus Nock noch alles erarbeitet haben wird.
Francescos Welt besteht jedoch nicht nur aus dem Familienzirkus. «Es ist wichtig rauszukommen, bei anderen Zirkussen mitzumachen, damit die Zirkuswelt weiss, was ich als Artist so kann und ich daher auch neue Engagements bekomme». Um gut zu sein, müsse man mit ganzem Herzen dabei sein, aber es brauche auch Talent, Respekt vor den Gefahren und unermüdliches Training. Dumm nur, wenn man viel Verschiedenes macht, muss man auch alles trainieren. So komme er oft abends kaum zu einem Ende. Sein Perfektionismus macht es ihm da auch nicht leichter. Doch Training hilft nicht gegen alles. «Einmal habe ich nach meiner Nummer die Laufenten versorgt und bin dann rückwärts ins Entenschwimmbad gefallen. So musste ich klatschnass wieder raus zur nächsten Nummer», verrät er. Und wenn beim Salto die Hose zerreisst oder sein Schwung auf dem Seil zu gross ist, so dass er noch eine Drehung anhängen muss, dann «baue ich das ein, verkaufe es lustig, denn die Leute dürfen das merken und haben ihren Spass daran». Das sei schliesslich eine Live-Show.
Inzwischen ist es im Zelt voller, neue Artisten sind angekommen, wollen proben, die Manege wird umgebaut. Kinder aus der Umgebung schauen interessiert zu. Francesco meint: «Die sollen ruhig hierbleiben, ich finde ihr Interesse toll. Kopfzerbrechen machen uns die Jugendlichen, die wir kaum erreichen».
Harte Arbeit
Wie romantisch ist denn so ein Zirkusleben heutzutage? Francesco lächelt verschmitzt und denkt an seine Beziehungen mit Artistinnen: «Das kann schon sehr romantisch sein». Wieder ernst fügt er hinzu, dass ein bisschen Nostalgie immer zum Zirkus gehöre, wie beispielsweise der alte Nock-Schriftzug und die spezielle Zirkusluft. Meistens würden sich die Leute aber das Zirkusleben zu romantisch vorstellen. Das sei kein Schoggileben, sondern ein Knochenjob, bei dem jeder anpacken müsse. Die Arbeitstage seien lang, freie Tage gebe es während der Tournee gar nicht. Wegen des anstrengenden körperlichen Trainings möchte er in seiner Freizeit auch einfach nur relaxen: «Sauna, Massage oder auf dem Motorrad herumfahren, mal ein Bier trinken gehen oder einfach nur zu Hause bleiben». Sein Zuhause ist die meiste Zeit des Jahres ein moderner und gut ausgestatteter Wohnwagen. Wenn er in Oeschgen ist, dann bewohnt er eine kleine 1-Zimmer-Wohnung im grossen Familienhaus.
Der moderne Zirkus
Und wie modern geht es heute im Zirkus zu? «Sehr modern», versichert Francesco: Online-Tickets, moderner Sound, moderne Lichtanlage und auch er sei als Artist via Facebook buchbar. Aber wie steht´s mit Videoanalysen zur Trainingsopimierung oder Mental Coaching gegen Unfälle? Da lacht er. Nein, gegen Unfälle helfe nur intensives Training, auch spezielles Falltraining, hohe Konzentration und genügend Schlaf. Und zur Leistungsverbesserung sei ihm ein Trainer und unermüdliches Üben das Wichtigste.
Die Kinder klatschen, die anderen Akrobaten sind fertig, und auch ich muss nun gehen – zurück in die «normale» Welt. Doch ich komme wieder: Ich habe mich für die bald stattfindende Vorführung angemeldet und werde dann die vollständige Dosis Zirkusluft schnuppern: Sägespäne plus Popcorn.