«Einen Schuss sauber abzugeben, das ist nicht einfach»

  16.02.2019 Frick

Renate Schmid, 46, gewann neulich zum sechsten Mal hintereinander die Jahresmeisterschaft der Armbrustschützen Frick. Seit über 30 Jahren betreibt sie diesen Sport, der ihr inmitten des turbulenten Familienalltags eine Quelle von Ruhe und Ausgeglichenheit geworden ist.

Birke Luu

Eine Wand voller Pokale sucht man im Haus von Renate Schmid vergebens. «Ich muss das nicht so heraushängen und zeigen. Ich habe einfach grosse Freude in dem Moment, in dem ich den Sieg erreiche. Pokale sind schön, aber was macht man schon damit?» Nur einer ihrer Pokale sei ihr sehr wichtig, erklärt sie, und geht schnell los um ihn zu holen – vom Flur, wo er als praktischer Velohelmhalter fungiert.

Sie erläutert, dass ihr wichtigster Pokal ein Wanderpokal sei, den sie nach drei in Folge gewonnenen Jahresmeisterschaften ganz behalten durfte. Was mich dabei schmunzeln lässt, ist die Form des Pokals: eindeutig erkennbar sind Wilhelm Tell und sein Sohn Walter. Ich hatte mir lange überlegt, ob ich sie wirklich auf dieses Klischee ansprechen sollte, aber der Pokal nimmt mir diese Entscheidung ab. Renate Schmid nimmt das Thema gelassen: «Mich fragen die Leute immer mal wieder im Witz, ob ich auch schon auf einen Apfel geschossen hätte». Und, hat sie oder könnte sie? Sie holt mir einen Apfel und eine Zielscheibe. «Ein Apfel ist viel grösser als der innere Zielscheibenbereich, den ich sonst treffen möchte. Ich könnte also auf jeden Fall treffen, aber an meinen Söhnen würde ich das natürlich nie ausprobieren», lacht sie.

Hoch angesetzte Latte
Kommen wir zurück zu Renate Schmids Siegen. Für eine Jahresmeisterschaft werden verschiedene Schiessergebnisse das Jahr über zusammengezählt: die monatlichen Heimschiessen im eigenen Verein, sechs Auswärtsschiessen sowie das Endschiessen. Alles wird knieend auf 30 Meter Entfernung geschossen. Zwar könne sich ein Sieg schon längerfristig abzeichnen, erklärt die routinierte Armbrustschützin, aber manchmal kehre auch das Endschiessen nochmal alles um.
Aber das «Fighten» mache ihr Spass: «Mein Ziel ist schon immer zu gewinnen, aber ich möchte mich dafür mit jemandem messen können und um den Sieg kämpfen». Renate Schmid ist ehrgeizig und das hat einen Grund: «Wenn ich schiessen gehe, dann muss ich mir dafür bewusst Zeit freinehmen und dann will ich diese auch gut nutzen».

«Ruhig, zielen, zielen»
Gut nutzen heisst für sie, den Schuss sauber abzugeben. Doch wie genau macht sie das schon so viele Jahre hintereinander? Sie habe früher mal meditiert und autogenes Training gemacht, das helfe ihr: «Auch an schlechten Tagen kann ich so den Alltag und die Kinder ausblenden und mich rein aufs Zielen fokussieren». Ganz viel liege an der Konzentration und mentalen Stärke. Dennoch gehöre zu einem sauberen Schuss noch viel mehr. «Man muss sich Zeit und Ruhe nehmen. Ich habe ein festes Ritual für den genauen Ablauf. Der Schuss sollte dann fast im Unterbewusstsein abgegeben werden, wobei der Körper ganz locker sein sollte». Und wenn es nicht passe mit dem Abdrücken, dann müsse man nochmals absetzen und wieder neu anfangen – alles in Ruhe. Aber auch die richtige Stellung beim Knieen sei wichtig, wichtiger als pure Kraft, so dass Frauen bei diesem Sport keinen Nachteil hätten. Und zudem noch ganz wichtig: «Man muss mit schlechten Schüssen umgehen können, das heisst sie abhaken und weitermachen». Sich aufzuregen sei kontraproduktiv.

Genau das alles liebt Renate Schmid an ihrem Sport. Und da sie sehr naturverbunden ist, kommt es ihr auch entgegen, dass man als Armbrustschütze die Witterungseinflüsse beim Zielen immer mitberücksichtigen muss, denn die Zielscheibe befindet sich im Freien.

Was sie des Weiteren beim Armbrustschiessen immens fasziniere, sei «dieser kurze Moment, wo man schiesst und das Ergebnis noch nicht weiss». Zu dieser Spannung käme dann noch die Freude über einen guten Treffer, aber eigentlich gehe es für sie hauptsächlich darum, jeden einzelnen Schuss gut abgeben zu können und sich daran zu erfreuen. «Das sind alles Kleinigkeiten, aber wenn ich von einem guten Schiessen heimkomme und vorher angespannt war, bin ich danach einfach ausgeglichener und zufriedener. Die Ruhe von dort nehme ich nach Hause mit».

Lange dabei
Und wie kommt man eigentlich zu solch einem nicht alltäglichen Sport, einem Sport, dessen Wurzeln weit in die Vergangenheit reichen und der heute zwar in vielen Ländern praktiziert wird, jedoch überall nur eine Randsportart darstellt? «Als ich 13 war, hat meine Mutter in der Fricktaler Zeitung mal ein Inserat für einen Jungschützenkurs gesehen. Da ich nicht still sitzen konnte, sollte ich mich so besser konzentrieren lernen». Dass sie dabei blieb beziehungsweise nach einer Unterbrechung während der Lehre wieder anfing, hatte viel mit einem älteren Schützen zu tun, der sie toll betreut, motiviert und für diesen Sport begeistert hat. Seit rund 25 Jahren ist sie nun aktives Mitglied. Und obwohl sie während all der Jahre auch noch viele andere Interessen gepflegt hat, waren es dann doch die Armbrustschützen, die ihr Leben verändert haben: «Ich habe dort meinen Mann kennengelernt», lacht sie.

Zukunftspläne
Auch in Zukunft möchte sie ihrem Verein treu bleiben, ja auch mal wieder etwas mehr trainieren, denn am kommenden eidgenössischen Armbrustschützenfest könne man sich für die Schweizermeisterschaft qualifizieren oder den Ehrengabenstich schiessen und somit auch mal etwas anderes als einen Pokal gewinnen: «Vor einigen Jahren durfte ich mir schon mal etwas auswählen, aber wegen meiner Kinder habe ich dann halt die Legos genommen».

Weiterhin möchte sie auch die Jahresmeisterschaft 2019 wieder gewinnen. Sie schaut ihren Wilhelm-Tell-Pokal an und ergänzt: «Ich möchte den Pokal neu bestätigen und bestärken, dass ich ihn verdient habe und ihn behalten kann». Er ist ihr wertvollster Pokal, über Jahre erarbeitet, und dennoch bin ich mir sicher, dass sie ihn nach unserem Gespräch rasch zurück in den Flur stellen wird, damit er dort auch wieder zu etwas Praktischem zu gebrauchen ist.


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