Eltern sind empört über das Vorgehen von Schulpflege und Schulleitung

  02.10.2018 Brennpunkt, Sisseln

Dass eine langjährige Lehrerin der Schule Sisseln die Kündigung erhalten hat und per sofort freigestellt worden ist, sorgt bei Eltern für Unmut.

Valentin Zumsteg

Das Unverständnis ist gross: «So geht man nicht mit einer guten Lehrerin um», sagt eine Mutter, deren Tochter die vierte Klasse in Sisseln besucht. Am vergangenen Dienstagmorgen um 10 Uhr erhielt eine Lehrerin, die seit Jahren an der Schule Sisseln arbeitet, die Kündigung. Sie wurde per sofort freigestellt (die NFZ berichtete). Laut verschiedenen Aussagen wurden die Schülerinnen und Schüler Zeugen, wie die Lehrerin ihre Sachen packen musste. Es seien Tränen geflossen. «Das gibt Unruhe im Dorf. Viele Eltern sind wie wir nicht damit einverstanden», sagte die Mutter, die anonym bleiben möchte. Und sie ergänzt: «Wir sind verzweifelt. Es geht um unsere Kinder. Diese Lehrerin hat Ruhe und Disziplin in die Klasse gebracht. Die Kinder gingen gerne zu ihr in die Schule.»

«Kündigung ist komplett haltlos»
Das bestätigt eine andere Mutter, deren Sohn vergangenes Jahr bei der Lehrerin den Unterricht besuchte: «Ich bin absolut überzeugt und begeistert von ihrer Art. Mein Sohn hat von ihrem Unterricht extrem profitiert. Ein solcher Abgang ist demütigend.» Auch Esther Schybli hatte ihre zwei Söhne im vergangenen Schuljahr in der Klasse dieser Lehrerin: «Wir waren sehr zufrieden mit ihr. Sie war streng und gerecht.» Im neuen Schuljahr kamen ihre Kinder in eine andere Klasse. «Dort war es sehr chaotisch. Wir haben unsere Söhne deswegen aus der Schule genommen. Sie besuchen jetzt eine Privatschule in Basel.»

Die Lehrerin betont auf Anfrage der NFZ, dass sie nicht aus pädagogischen Gründen entlassen worden sei. «Ich habe im vergangenen Frühling ein sehr gutes Zeugnis erhalten. Die Kündigung ist komplett haltlos. Der Schulleitung hat mein Verhalten nicht gefallen. Ich habe meine Meinung gesagt und auf Missstände hingewiesen», betont die Lehrerin, die mit der Kündigung nicht einverstanden ist und ein Schlichtungsbegehren stellen will. Für Unruhe bei Lehrern und Eltern sorgt offenbar, dass im Sommer ein Lehrer angestellt worden ist, der laut Aussagen von verschiedenen Personen nicht über die nötige Qualifikation verfüge und mit dem Unterricht und der Klasse überfordert sei.

«Wir konnten viel erklären»
Wegen der Entlassung und der Unruhe, die diese auslöste, luden Schulpflegepräsident Markus Rüegsegger und Schulleiter Markus Obrist am vergangenen Donnerstagabend zu einem ausserordentlichen Elternabend ein. «Es war ein guter und konstruktiver Anlass. Wir konnten viel erklären», sagt Markus Rüegsegger. Zum Kündigungsgrund will er sich nicht äussern, nur so viel: «Die fachlichen Fähigkeiten und Kompetenzen der Lehrerin stellen wir nicht infrage.» Sie habe sich auch nichts Strafrechtliches zuschulden kommen lassen. Offenbar liegen die Differenzen vor allem im zwischenmenschlichen Bereich. «Es ist ein laufendes Verfahren, deswegen kann ich mich nicht weiter dazu äussern», so Rüegsegger. Dass die Lehrerin vor der Klasse ihre Sachen habe packen müssen, stimme so nicht. «Wir wollten ihr aber die Möglichkeit geben, sich von den Schülern zu verabschieden. Es war sicher ein emotionaler Moment», sagt Rüegsegger.

Er stellt auch in Abrede, dass die Schulpflege einen Lehrer angestellt hat, welcher die nötigen Voraussetzungen nicht mitbringt: «Er hat eine Umschulung gemacht und verfügt über alle pädagogischen Fähigkeiten. Sonst hätten wir ihn nicht einstellen können. Er hat Topreferenzen.» Die Meinungen gehen also weit auseinander. Eine Mutter sagte nach dem Elternabend: «Es ist alles schöngeredet worden.»


Kommentar

Eine Frage der Verhältnismässigkeit

Eine Lehrerin erhält an der Schule Sisseln morgens um 10 Uhr – in der Unterrichtspause – die Kündigung. Sie darf sich noch kurz von den völlig verdatterten Schülerinnen und Schülern verabschieden und muss dann gehen. Tränen fliessen. Bei den Schülern und Eltern ist die Lehrerin, die seit dem Sommer nur noch einen Tag pro Woche unterrichtet, sehr beliebt (Bericht auf Seite 1). In fachlicher und pädagogischer Hinsicht wird sie gelobt – auch vom Präsidenten der Schulpflege, welche sie entlässt. Der Präsident erklärt zudem, dass sich die Lehrerin nichts Strafrechtliches habe zuschulden kommen lassen – was man ja denken könnte bei diesem Vorgehen. Der Grund für die Kündigung und die sofortige Freistellung sind also Differenzen mit der Schulpflege und dem Schulleiter.

Da stellt sich die Frage: Rechtfertigen solche Differenzen diese drastischen Massnahmen? Ist die Verhältnismässigkeit gewahrt? Dass jemand seinen Arbeitsplatz innerhalb von Minuten räumen muss, kommt in der Schweiz selten vor. Es ist auch schwer zu begründen, wenn nichts Strafrechtliches vorliegt. Das kennt man eigentlich nur bei gut bezahlten Führungspositionen in der Privatwirtschaft.

Unbestritten ist wohl, dass dieses Vorgehen dem Arbeitsklima an der Schule sehr abträglich ist. Wer so mit dem Personal umspringt, schädigt seinen Ruf als Arbeitgeber. Die Sache betrifft auch die Aargauer Steuerzahler: Denn die Lehrerin darf – gegen ihren Willen – in Sisseln nicht mehr arbeiten, bezahlt werden muss sie aber noch bis Ende Januar 2019.

VALENTIN ZUMSTEG
valentin.zumsteg@nfz.ch


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