Unterwegs in Effingen

  02.09.2018 Effingen

«Als ich noch zur Primarschule gegangen bin, da waren wir gerade einmal zu dritt in meiner Klasse», sagt Samira Schaffner. Auf dem NFZ-Spaziergang durch ihr Effingen erzählt sie, was sie an der überschaubaren Dorfund Bevölkerungsgrösse schätzt, was weniger. Schön wäre es auch, meint die junge Frau, wenn die Leute Effingen nicht nur als Durchfahrtsort wahrnehmen würden. (sh)


«Bei uns kennt jeder jeden»

Klein, aber fein: NFZ-Spaziergang durch Effingen

«Effingen ist halt schon sehr klein«, sagt Samira Schaffner. Gleichwohl ist es das Dorf, in dem sich die junge Frau wohl und daheim fühlt.

Susanne Hörth

Es ist kurz vor 18 Uhr. Das Postauto von Bözberg in Richtung Frick hält. Zwei Frauen, ein Mann, steigen aus. Auf der gleichen Strassenseite wie diese Postautohaltestelle, nur etwas zurückversetzt, befinden sich auch das Gemeindehaus von Effingen und gleich daneben der Werkhof. Da wird gerade ein Schneepflug herausgefahren. Das Thermometer zeigt zu diesem Zeitpunkt noch immer um die 30 Grad an. Es einer der letzten Hochsommertage in diesem August. «Wir verkaufen ihn. Klimawandel», sagt Andreas Thommen. Er grinst. Zeit für ein längeres Gespräch hat der Effinger Gemeindeammann nicht, Er ist auf dem Weg zu einem Infoabend. «Ich warte auf Samira Schaffner», erkläre ich ihm auf entsprechende Frage. Er ist schon am Weitergehen, als er auf die andere Strassenseite zeigt: «Da kommt sie. Ihr könntet ja auch noch an die Veranstaltung kommen.» Es gehe um die Gestaltung der grossen Strassenkreuzung. Studenten hätten da verschiedene Vorschläge erarbeitet. «Für politische Dinge interessiere ich mich nicht so sehr», sagt später Samira Schaffner zu mir. Aber wirklich erst viel später.

«Dann gehen halt nur wir zwei»
Die junge Frau begleitet mich auf dem Spaziergang durch Effingen, zeigt mir ihr Dorf, erzählt vom Leben hier. Zuerst aber wollen wir zusammen ihre Freundin abholen. Sie hat ebenfalls für den Spaziergang zugesagt. Typisch Milena, sagt Samira und lacht. «Die hat es sicher vergessen.» So ist es dann auch. Bei der Kollegin zu Hause ist nur deren Bruder. Und der möchte nicht mitkommen, er gehe lieber ins Schwimmbad, sagt er. «Dann gehen halt nur wir zwei», so eine überhaupt nicht genervte Samira. Sie nimmt es gelassen.

«Wollen wir zur Brätelstelle laufen, da treffen wir uns regelmässig», fragt sie. Mit wir meint sie ihre Freunde aus dem Dorf. Ich nicke. Es seien aber gut 15 Minuten bis dorthin und ein ziemlich steiler Weg, werde ich gewarnt. Wir sind bereits am Laufen. Alles bergauf. Vorbei an vielen Einfamilienhäusern, neue und ältere. Alles wirkt sehr gepflegt, einladend. Leute sehen wir keine. So sei das oft, meint meine junge Begleiterin.

«Wir haben einen mega coolen Turnverein hier»
Im Dorf gebe es nicht so viele wirkliche Orte, um sich zu treffen. Ein Treffpunkt sei das Domizil. Es habe jeden Freitagabend offen. «Das ist aber mehr etwas für die Oberstufenschüler.» Zu denen gehört Samira nicht mehr. Sie ist 16, wird im November 17, und befindet sich im zweiten Lehrjahr zur Fachangestellten Gesundheit. Ihre Ausbildung macht sie in Brugg. Die Arbeit mit und für die Menschen gefällt ihr. Und auch in der Freizeit ist sie gerne mit Leuten zusammen. «Wir haben einen mega coolen Turnverein hier. Da gibt es einen extrem guten Zusammenhalt. Ich bin sehr gerne dabei.» Seit kurzem betreut sie als Leiterin bei der Jugi die Kleinen. Eine Aufgabe, die sie zeitlich etwas fordere: «Das macht aber nichts. Für mich ist es wichtig, den Kleinen etwas beizubringen. Wenn es ihnen gefällt, bleiben sie ja auch später dabei. Das ist ebenfalls sehr wichtig.» Wieder spricht Samira den grossen Zusammenhalt im TV an. Hier möchte sie das Ihrige dazu beitragen, dass es auch so bleibt.

Apropos bleiben. Kann sie sich vorstellen, wo anders als in Effingen zu wohnen, zu leben? Im Moment nicht, lacht sie. «Ich fühle mich hier sehr wohl. Es ist mein Daheim.» Aber später käme ein anderer Wohnort vielleicht schon infrage. Denn das Dorf sei halt klein. Viel Unterhaltung für junge Leute werde hier nicht wirklich geboten. Schön wäre es, wenn es noch mehr junge Leute in ihrem Alter gäbe.

«Als ich noch in Effingen zur Schule gegangen bin, waren wir gerade drei Schüler in meiner Klasse», macht sie deutlich, wie klein die Jahrgänge im Ort sind, zumindest waren. Denn:. «Ich glaube, unsere Gemeinde wächst. Es gibt einige Neuzuzüger.» Leute, die neu nach Effingen kämen, würden mit offenen Armen willkommen geheissen. Auch jene, die aus anderen Kulturen kommen. Ein Kennenlernen-Anlass, der sprichwörtlich durch den Magen ging, hat eben erst stattgefunden. «Am letzten Wochenende hat im Salzstübli eine syrische Familie für Interessierte aus dem Dorf gekocht. Das war richtig schön und fein.» Vor etwas mehr als einem Jahr wurde das ehemalige Milchhüsli von Effingen durch bauliche Massnahme zum «Salzhüsli» und damit zur regelmässigen Brotbackstube und Begegnungsort für die Leute im Dorf.

«Richtig schön, gell»
Samira und ich haben die letzten Häuser hinter uns gelassen. Wir unterbrechen kurz unseren doch recht beachtlichen Anstieg und lassen den Blick über Effingen und die hügelige Landschaft, in die es eingebettet ist, schweifen. «Richtig schön, gell.» schwärmt Samira und fügt dann mit einem Seufzen an: «Schade, dass man oft auf dem Weg von Brugg nach Frick oder umgekehrt durch unser Dorf hindurchfährt, ohne es richtig wahrzunehmen.» Wenn sie erzähle, dass sie von Effingen kommt, würden viele gar nicht wissen, wo das sei. Sie bedauert auch, dass es keinen Laden oder ein Restaurant im Ort gebe. «Ich weiss auch nicht wirklich, warum es das nicht mehr gibt.» Vielleicht, weil es zu wenig genutzt wurde, weil die Umsätze nicht stimmten, sinniert die junge Frau.

Wir gehen weiter, halten ab und zu kurz an, um Kies und Sand aus unseren Riemchensandalen zu schütteln. Es hat uns niemand gezwungen, solche Schuhe zu tragen, stellen wir grinsend fest. Dann sind wir am Ziel. Hoch oben über Effingen. «Mega, nicht wahr», strahlt Samira. Sie lässt sich bei einem der Tische auf einer Bank nieder. Wir sind von hohen Bäumen umgeben. Wahrhaft ein lauschiger Ort. «An dem wir in den Sommermonaten viel anzutreffen sind.» Samira sagt es und lässt den Augenblick auf sich wirken. Die Jungen im Dorf hätten alle ähnliche Ansichten. Man fühle sich wohl hier, gehe für den Ausgang aber oftmals auswärts. Das sei halt so. Sich auch ausserhalb von Effingen mit Freunden und Kollegen treffen, habe bei ihr angefangen, als sie nach der Primarschule in die Oberstufe nach Frick wechselte.

Auf dem Rückweg erzählt die junge Frau von den beiden Zwergeseln mit denen sie aufgewachsen, auf deren Rücken sie oft geritten ist. Jetzt seien die Esel schon alt und sie zu gross, um noch auf ihnen zu reiten. Sie mag sie, die Esel und die Tiere allgemein. Und sie mag auch die Kunst, der man in Effingen in überraschend grosser Fülle und faszinierender Kreativitätsvielfalt überall begegnet. Ja, nickt Samira. «Es gibt viele Künstler im Dorf.» Und das inspiriere auch viele, auch sie. Neben dem TV gehört Zeichnen zu den grossen Hobbys der angehenden Pflegfachfrau.

Wir sind wieder unten im Dorf angekommen. «Hier kennt einfach jeder jeden.» Wie zur Bestätigung ruft ein älterer Mann von seinem Ruhebank neben der Haustüre: «Hoi Samira. Schon lange nicht mehr gesehen.» Sie hält kurz an, plaudert ein wenig und spaziert dann weiter. Vorbei am «Salzhüsli», das sie als mega und als eine ganz tolle Sache bezeichnet, vorbei an der Schule, in welcher sie die Primarschule besuchte. Beim Werkhof angekommen bedauern wir, dass der Schneepflug verschwunden ist. Das wäre doch ein tolles Hintergrundmotiv für ein hochsommerliches Foto mit meiner jungen Spaziergängerin gewesen.


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