Wenn Zwei etwas Verrücktes wagen

  01.08.2018 Densbüren

Der viertägige Nijmegen-Marsch ist eine weltweit einzigartige Veranstaltung. Sie hat den 58-jährigen Rolf Buser aus Densbüren schon vor 34 Jahren fasziniert. Damals absolvierte er noch als junger Kantonspolizist mit der Marschgruppe der Kantonspolizei Aargau die 4 x 40 Kilometer um die älteste Stadt Hollands.

«Lauf der Welt»
Den Anstoss, sich für die dritte Teilnahme anzumelden, hat seine Lebenspartnerin Judith Stofner gegeben. Vor drei Jahren organisierte sie die durch die Schweizer Armee ermöglichte Teilnahme der Musikgesellschaft Niedergösgen. Jedes Jahr wird das Marschdetachement der Schweizer Armee eine Woche lang durch eine zivile Musikgesellschaft begleitet. Mit den unglaublichen Eindrücken heimkehrend, setzte sich Stofner in den Kopf, möglichst bald an diesem Anlass als Marschierende teilnehmen zu können.

Seit 102 Jahren, jeweils am dritten Dienstag im Juli, kommen bis zu 50 000 Menschen zusammen, um an der grössten Laufveranstaltung der Welt teilzunehmen: dem «Nijmeegse Vierdaagse». Aus der ganzen Welt und allen Altersstufen ab 11 Jahren reisen zivile und uniformierte Marschierer nach Nijmegen, um ihre Grenzen zu testen, in der Hoffnung, gesund nach 120, 160 oder 200 Kilometer an der Via Gladiola anzukommen und die begehrte Medaille, den königlichen Orden, zu gewinnen. So heisst der Vierdaagse nicht zuletzt auch «Lauf der Welt».

Nachdem das aufwändige Anmeldeprozedere überstanden und die Teilnahme zugesichert worden war, ging es ans Training. Aber wie in nur einem Jahr vorbereiten, wenn man als 57-Jährige noch nie an solchen Distanzmärschen teilgenommen hat? Aber Stofner konnte auf die Wettkampferfahrung ihres Lebenspartners zählen. Mit der Teilnahme an diversen Walkingveranstaltungen und abschliessend als Hauptprobe dem 65-Kilometer-Nachtmarsch auf die Rigi sowie dem 85-Kilometer-Berner-2-Tage-Marsch war die physische Voraussetzung geschaffen. Die nicht zu unterschätzende psychische Komponente war eigentlich schon mit der Anmeldung erfüllt: Eiserner Wille, diese Strapazen auf sich zu nehmen, den Marsch unbedingt gesund zu beenden und wieder einmal etwas «Verrücktes» zu erleben!

Das richtige Material
Grösste Sorge bereitete Buser die Auswahl des richtigen Marschmaterials. Welche Schuhe und Socken verhindern Blasen an den Füssen? Welche Unterwäsche verhindert Entzündungen an Oberschenkeln und Achselhöhlen? Welche Kleidung verhindert übermässiges Schwitzen? Und was ist, wenn’s regnet? All dies hat aber die beiden Fitnessriegeler nicht davon abgehalten, ein paar Tage vor dem Start frohen Mutes und sehr aufgeregt in das 700 Kilometer entfernte Nijmegen zu reisen. Ach ja, da wär noch das Organisieren der Unterkunft. Kurz gesagt: ganze Region ausgebucht. Mit viel Glück fanden die beiden in der Altstadt von Nijmegen ein komfortables Hotelzimmer im «de Gulden Waagen», keine 15 Minuten zu Fuss vom Start-/Zielgelände entfernt. Man bedenke, der Start erfolgte jeweils zwischen 4 und 7 Uhr. Nebst der optimalen Ausrüstung waren Erholung und guter Schlaf das Wichtigste. So erwies sich die nahe und vorallem ruhige Unterkunft als riesiger Glücksfall, welcher viel zur guten Erholung der beiden Sportler beigetragen hat.

Wenn nur noch der Kopf entscheidet
Vor allem für Stofner war es eine riesige Herausforderung mit ungewissem Ausgang. 160 Kilometer in vier aufeinanderfolgenden Tagen hat sie noch nie zurückgelegt und auch nie an solchen sportlichen Veranstaltungen teilgenommen. Somit war für ihren Lebenspartner klar, dass ab dem dritten Tag die mentale Stärke entscheidend sein wird. Das Training richtete er deshalb vorallem auf diesen Aspekt aus. Genau dann, wenn die Trainingsmotivation am Tiefpunkt war, nahmen die beiden an Marschanlässen teil oder zwangen sich trotzdem einige Stunden zu marschieren. Das sollte sich in Nijmegen als absolut richtig erweisen. Buser hatte seine Lebenspartnerin stets darauf vorbereitet, dass jeweils nach 30 Kilometer der «Hammermann» kommt. Und er sollte Recht behalten.

Die Demotivation, Schmerzen und Blasen schlugen jeweils erbarmungslos zu, wie übrigens bei allen zuletzt 41 000 ins Ziel kommenden Teilnehmern. Durchhaltewille, Kampfgeist und natürlich ihre Füsse haben sie trotzdem ins Ziel getragen. Jeden Marschtag bewältigten Buser und Stofner jeweils in zehn Stunden, eingerechnet zwei kurze Marschhalte. So hatten sie noch genügend Zeitreserve, vor Marschschluss das Ziel zu erreichen. Leider erwies sich diese vorgegebene Marschzeit für viele als zu knapp. So erlebte man vor allem am letzten Marschtag gegen 18 Uhr regelrechte Dramen. Jene, welche einige Minuten oder gar Sekunden nach Marschschluss eintrafen, wurden disqualifiziert und hatten keinen Anspruch auf die begehrte und wohlverdiente Auszeichnung. Dies blieb den beiden tapferen Fitnessriegelern, welche seit zwei Jahren in Densbüren wohnen, zum Glück erspart.

Zieleinlauf mit unglaublichen Emotionen
Nach vier Tagen die «Via Gladiola» gesund zu erreichen, ist für jeden Teilnehmer das Grösste. Was sich da auf den letzten sechs Kilometern mitten in Nijmegen jedes Jahr abspielt, ist schlichtweg nicht zu beschreiben. 1,6 Millionen Zuschauer jubeln den über 40 000 Siegern stundenlang zu und beschenken sie mit Gladiolen. Und am Ziel angekommen, wenn jeder seinen königlichen Orden in Empfang genommen hat, sieht man nur noch überglückliche Sieger – und alle mit feuchten Augen oder hemmungslos weinend. Auch das öffentliche Medieninteresse an diesem Monsteranlass, welcher ohne die tausenden Freiwilligen nicht durchführbar wäre, ist riesig.

So möchten sich Judith Stofner und Rolf Buser bei all ihren Freunden und insbesondere bei der Fitnessriege Zurzach für das tägliche «Daumendrücken» und die riesige Unterstützung herzlich bedanken. Die Schweiz war mit ungefähr 100 zivilen und 200 militärischen Marschierern sowie dem Spiel der Kantonspolizei Bern vertreten. (mgt)


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote