Schwab, Schmid und alles in Butter

  27.07.2018 Wittnau

Heimatland: heute ist die NFZ in Wittnau unterwegs

Ein kleiner Abendspaziergang durch das Dorf von Milena Schwab und Regula Schmid.

Ronny Wittenwiler

Die Sonne scheint in diesen frühen Abendstunden über Wittnau, wird sich später hinter den Hügelkuppen schlafen legen. In ein paar Minuten ist Ladenschluss an der Kirchbachstrasse 6, der Volg macht Feierabend. Wir legen los. Milena Schwab und Regula Schmid dürften sich für das Treffen mit der NFZ abgesprochen haben: Auf jeden Fall erscheinen sie im Einheitstenü, fliederfarbenes Shirt, «Jubla Wittnau.» Darauf kommen wir bald zu sprechen. Doch zuerst bleiben wir stehen, hier beim Dorfplatz, der eigentlich keiner ist.

«Ein bisschen höckle»
Die Kirchbachstrasse ist den beiden jungen Frauen ein Epizentrum im ruhigen Wittnau. Hier wird’s gerne mal gesellig, am Weihnachtsmarkt, an der Fasnacht und vor allem – noch viel bedeutender – je nach Lust; denn so ist’s eine Laune der Wittnauer, sich abends nach der Heimkehr hier draussen zu treffen, «ein bisschen höckle, etwas trinken», wie Milena sagt. Sie muss es ja wissen, hat sie doch den Blick dafür, von oben herab. Milena wohnt direkt über dem Volg, Regula nur einen Steinwurf davon entfernt, vielleicht sind es auch zwei, bloss die Kirche trennt die beiden voneinander, geografisch gesehen wohlverstanden, dicke Freundinnen sind sie. Das war schon immer so.

«Vor allem am Freitag trifft man sich gerne zum Feierabendbier», sagt Milena und steckt mit ihrem Fingerzeig quasi das Feld ab, wo die Heimkehrer hier überall einen Schwatz halten. Oft sind es Kollegen vom Turnverein, Kolleginnen von der Damenriege. Auch da, wie bei der Jubla, sind Milena und Regula mittendrin, statt nur ein bisschen dabei. Es ist jetzt 19 Uhr. Der Volg macht Schluss, wir machen weiter.

«Was macht ihr denn da?»
Ein alter Opel Kadett rollt von hinten an. «Was macht ihr denn da?», fragt der Fahrer durchs offene Fenster. «Wir haben ein Gespräch mit der Zeitung» – «ach so.» Dann fährt er weiter, der Mann, den wir Augenblicke später erneut antreffen werden auf dem Rasenplatz bei den Schul- und Sportanlagen. Der TV Wittnau duelliert sich an diesem Abend mit dem TV Oberhof. Im Fussball. Es geht um Ruhm, Ehre und ganz am Schluss um die Wurst, wenn die jungen Mannen den Grill anwerfen, um einen schönen Abend gemeinsam ausklingen zu lassen. Ja, man kennt einander in diesem kleinen, beschaulichen Wittnau, denke ich mir sofort, dem Auto hinterherschauend. Milena grinst: «Das war mein Bruder.»

Vorbei an einem schwer beladenen Zwetschgenbaum, auf einem schmalen Pfad durchs Quartier und sorgsam gepflegten Blumen- und Gemüsegärten entlang, was für eine Visitenkarte, biegen die beiden auf einen kleinen Vorplatz ein und es wird Zeit, darüber zu reden, was Milena und Regula nicht ohne Stolz tragen.

Die Banden der Freundschaft
«Du willst eigentlich gar nie aufhören, immer und immer weitermachen», sagt Regula und steht in diesem kleinen Raum, der beiden längst auch eine Art zuhause ist. Jungwacht Blauring. Beide einst als Mädchen beigetreten, liess sie die Jubla Wittnau nicht mehr los, längst sind sie selber als Leiterinnen aktiv und wenngleich Regula schon bald in dieser Funktion aus beruflichen Gründen wird kürzer treten müssen: einmal Jubla, immer Jubla. So macht es jedenfalls den Anschein, wie sie davon erzählen; von all den Mädchen und Buben, verschworene Gemeinschaft, kaum einer zu cool, um für den anderen da zu sein. Hier werden Banden der Freundschaft geknüpft, die weit über die eigene Kindheit hinausreichen. Hier im Anbau zum Pfarrhaus trifft sich die Jubla Wittnau jeweils, man kocht gemeinsam, backt zusammen. Im Pfarrstübli, wie der Treffpunkt genannt wird, laufen die Fäden zusammen, also, noch so ein Epizentrum des Miteinanders in diesem Kosmos Wittnau, doch gerade im Sommer zieht es die Jubla hinaus ins Freie. «Oft gehen wir in den Wald», sagt Regula. Bei den Mädchen von Milena steht der Dorfbach ganz oben auf der Liste – oder aber man liefert sich eine Wasserschlacht am Brunnen bei der Schule. Und auch wenn all das vielleicht etwas banal klingt in Zeiten der Digitalisierung – es wirkt echt. Ungefilterte Lebensfreude. «Bei uns geht es einfach um Spiel und Spass in der Freizeit», sagt Milena und lacht im Hinblick auf ihre bevorstehende Antwort: «Wir lernen nicht gleich als erstes, wie man im Freien überlebt.» Es ist ihre Replik auf die Frage, worin denn der Unterschied zwischen Jubla und Pfadi bestehe. «Und wenn es gewünscht wird, dann lackieren wir mit den Mädchen auch mal die Fingernägel. Sowas finden sie einfach toll.»

Apropos Mädchen: «Ich klinge wahrscheinlich gerade wie eine alte Frau» – sagt Regula, allgemeines Gelächter. Gerade hat sie erzählt, was sie an ihrem Dorf so mag. Es ist eine kleine Ode an die Entschleunigung, wofür sie mit ihren zwanzig Jahren nicht zu jung scheint. «Ich mag dieses Ländliche. Diese Ruhe hier. Ohne Hektik.» In der Tat: Nur ab und zu fährt ein alter Opel Kadett im Schritttempo vorbei.

Nächster Halt: die eigene Kindheit
Viele Personen sind nicht unterwegs an diesem Abend. Doch niemand, an dem die beiden jungen Frauen ohne Gruss vorbeigehen. Also doch. Die kennen sich alle. «Hoi. Wenn fangemer hüt a? Ich chum hüt e chli spöter», ruft Milena einer Kollegin aus der Distanz zu. Doch dazu später. Auf dem schmalen Pfad durchs Quartier dreht sich das Rad der Zeit zurück, bis wir ankommen. In der Kindheit der beiden jungen Frauen. Nur gute Erinnerungen an diesen Lebensabschnitt hätten sie gehabt, sagen Milena und Regula, nehmen fürs Foto auf der Schaukel vor ihrem ehemaligen Kindergarten Platz. Fangis. Versteckis. Znüni essen im Freien. Die Eroberung des Kletterbaums. Noch viele Jahre später seien sie immer wieder hierher zurückgekehrt, als sie längst schon zur Schule gingen. «Ausserhalb der Kindergartenzeit ist der Spielplatz öffentlich», sagt Regula. Gerade eben war sie wieder hier: «mit meiner kleinen Cousine.» Es dünkt, jetzt, wo sich der Tag zu Ende neigt, als wäre dieses Wittnau hier oben wieder so ein Fricktaler Platz an der Sonne. «Okay», sagt Milena, «als ich in Basel zur Schule ging, hatten einige das Gefühl, ich würde auf einer Alp leben mit überall Kühen kreuz und quer.» Sie macht eine kurze Pause, schiebt nach: «Das Verrückte daran: Hey, das waren zum Teil Schüler aus Möhlin und Rheinfelden. Die glauben, wir sind hier völlig von der Welt.» Übrigens: Auf unserem Spaziergang haben wir nicht eine einzige Kuh gesehen. Bloss einen Kadett.

«Ich mag dieses Dorf»
Wir kriegen die Kurve und biegen in die Schlussrunde. Unweit vom Spielplatz machen sich die jungen Turner bereit fürs grosse Spiel gegen die Oberhöfler, drinnen in der Turnhalle trainieren ein paar Frauen von der Damenriege. Wir brauchen dringend ein Beweisfoto. Eines, das Milena entlastet. «Normalerweise bin ich pünktlich und pflichtbewusst», sagt sie und lächelt. Später wird sie noch zu ihren Kolleginnen in der Turnstunde stossen. Für dieses Gespräch aber und den Spaziergang hat sie sich in aller Ruhe die Zeit genommen – gerade auch um zu zeigen: das ist meine Heimat. «Ich mag dieses Dorf und seine Menschen.» Die Menschen hier, sie seien immer füreinander da, findet Regula. Oder, wie es Milena formuliert: «Ich hatte keine Butter mehr. Da bin ich eben kurz zu Regula rüber, welche holen.» Klingt banal. Sagt aber doch so viel mehr aus.

Gute Freunde braucht das Land. Dann ist alles in Butter. Auch in Wittnau.

Milena Schwab (19) hat soeben das KV abgeschlossen. Regula Schmid (20) verfügt ebenfalls über eine abgeschlossene KV-Lehre, derzeit macht sie berufsbegleitend die Berufsmatur. Die beiden kennen sich seit frühester Kindheit.


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