Claudio Rosso ist Wettkampfmediziner in Rio de Janeiro

  10.07.2016 Persönlich, Porträt, Sport, Rheinfelden

Aber Rosso hat etwas erreicht, das für ihn viel wertvoller ist, und das ohne Länderflagge: Er wird als Sportmediziner des Olympia-Organisationskomitees während der Leichtathletik-Wettkämpfe direkt im Olympiastadion arbeiten.

Von Boris Burkhardt

RHEINFELDEN. Der Lebenslauf des 37-jährigen Arztes mit einer deutschen Mutter und einem italienischen Vater liest sich wie ein Marathon; die eingerahmten Urkunden in der Basler Praxis bilden fast schon Stafetten. Zusätzlich zu seinen Ausbildungen zum Orthopäden, Sportmediziner und Privatdozenten wird er ihnen nun den «FOP Doctor» hinzufügen können. Die Abkürzung steht für «Field of Play», übersetzt also «Spielfeld». «Ich bin direkt unten am Geschehen der Leichtathletik-Olympiade», sagt Rosso; und sein Enthusiasmus verrät, dass die IOC-Urkunde über seinem Schreibtisch für ihn ausser Konkurrenz zu den anderen Auszeichnungen steht.

Der gebürtige Hamburger lebte als Jugendlicher seit seinem zehnten Lebensjahr im Schweizer Rheinfelden. In der Doppelstadt war er sowohl im Rudern als auch im Karate auf nationaler Ebene sehr erfolgreich, beim Rudern im baden-württembergischen Landesbundeskader (dem Übergang zum Nationalkader), im Karate-Shōtōkan als mehrfacher Schweizermeister, Vizeeuropa- und Weltmeister seiner Verbände. Bis zum 18. Lebensjahr ruderte er im Ruder-Club Rheinfelden (Baden), trainierte neunmal die Woche und sammelte über 120 Medaillen, darunter zweimal Silber bei der Deutschen Junioren-Meisterschaft.

Das Rudern gab er auf, als es ihm «zu zeitintensiv» wurde; mit 14 Jahren wurde er jedoch parallel dazu im Karate Club Rheinfelden/Schweiz aktiv, wo er heute noch trainiert. 1993/1994 wurde er Sportler des Jahres in Badisch-Rheinfelden, 2007/2008 zweimal Basler Sportchampion. In Basel, wo er nun seine Praxis hat, gründete Rosso ausserdem den Swiss Shōtōkan Karate-Do Basel.

Den IOC-Sportmediziner gibt es erst seit 2013

In Rio wird Rosso im Stadion als Arzt für akute Fälle für die Sportler aller Nationen zuständig sein. «Das ist genau das, was man als Arzt machen will», sagt Rosso. Den Lehrgang zum «IOC-Sportmediziner» gibt es erst seit 2013; Rosso gehört zum ersten Jahrgang. Um aber tatsächlich für Rio zugelassen zu werden, musste er ein  Assessment durchlaufen und sich in einem Interview in Konferenzschaltung gegenüber vier Konkurrenten behaupten. Nun ist er also einer von 70000 Freiwilligen bei Olympia und einer von 5000 medizinischen Fachkräften: «Ärzte, Physiotherapeuten und Krankenschwestern aus aller Welt.»

Rosso ist als Orthopäde spezialisiert auf die Gelenke des Schulter- und Ellenbogens; deshalb sieht er sich auf Verletzungen von Leichtathleten perfekt vorbereitet, wobei er sich vermutlich auch um Sprunggelenke und Knie wird kümmern müssen. Vom 12. bis 21. August wird er acht Stunden am Stück im Dienst sein: «Für einen Arzt sehr wenig. Deshalb werde ich sicherlich auch die Chance haben, die Spiele als Zuschauer zu verfolgen.»

Unterkunft direkt neben dem Olympiastadion

Aus organisatorischer Sicht sagt er über die Basilianer: «Sie haben die WM gut gemeistert; sie werden auch Olympia rocken.» Es fällt ihm allerdings schwer, sich zu den sozialen Problemen in der Millionen-Stadt im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen eine Meinung zu bilden: «Aber ich will versuchen, vor Ort eigene Erfahrungen zu sammeln.» Gute Gelegenheit wird er dazu haben: Er hat eine Unterkunft bei einem Brasilianer in einer Wohnung direkt neben dem Olympiastadion. Eine klare Meinung hat Rosso hingegen über den Zika-Virus: Rio liege nicht in der Gefahrenzone; für alle Fälle sei er aber auf die Symptome vorbereitet.

Rosso wird nicht zum ersten Mal in Brasilien sein; tatsächlich war er schon oft dort, als er sich das Studium als Flugbegleiter finanzierte. Die Hitze und die hohe Luftfeuchtigkeit würden den Sportlern zu schaffen machen, weiss er. Die Leistung sei bei Dehydrierung um 20 Prozent gemindert: «Für die Läufer, Zehnkämpfer und Marathonläufer wird das eine richtige Herausforderung.» Da er selbst Leistungssportler gewesen sei, ist er sich sicher, auch gut mit den Problemen der Wettkämpfer umgehen zu können: «Ein Breitensportler könnte mit einer gewissen Leistungsminderung umgehen. Aber Profisportler können 95 Prozent ihrer Leistung nicht akzeptieren.» Erfahrungen als Wettkampfmediziner konnte er in kleinerem Rahmen bereits an Karate- und Thaibox-Turnieren sammeln.

 

Claudio Rosso (37) arbeitet in seiner Praxis in Basel als Orthopädischer Chirurg und Sportmediziner, ausserdem als Privatdozent der Orthopädie an der Uni Basel, mit dem Forschungsschwerpunkt Schulter und Ellbogen und Schultern. Bevor er am 2. Mai seine eigene Praxis in Basel eröffnete, war er über anderthalb Jahre als Mitgründer im «Altius Swiss Sportmed Center» in Rheinfelden/Schweiz tätig. Heute lebt Rosso mit Frau und zwei Kindern im Alter von zwei und vier Jahren in Riehen.

«Ich glaube an das Gute im Menschen»

Claudio Rosso glaubt «an das Gute im Menschen», wie er im Hinblick auf die Dopingprobleme sagt. Gegen illegale Substanzen müssten die Verantwortlichen «mit aller Härte» vorgehen: «Ich bin immer noch davon überzeugt, dass Leistung ohne Doping möglich ist.» Glaubwürdig ist die Dopingkontrolle für ihn vor allem, weil auch ausserhalb der Wettbewerbe regelmäßig kontrolliert werde. 80 bis 90 Prozent der Leistung werde durch Training erreicht, sagt der Arzt; nur zehn Prozent seien Veranlagung. Allerdings gebe es immer wieder Individuen, die von Natur aus ausserordentliche Leistungen erbrächten.


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